Das Europäische Parlament

Funktionswandel und Aufgabenprofile bis 2019

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 16.02.2014

Von: Sebastian Haas und Katharina Hering

# Europa, Parlamente Parteien Partizipation, Europäische Integration

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Im Vorfeld der Europawahlen beschäftigen wir uns mit Entwicklung, Eigenheiten und Perspektiven des Europäischen Parlaments. Schließlich verhandelt es auf Augenhöhe mit dem Ministerrat, kontrolliert die Europäische Kommission und überwacht gemeinsam mit den nationalen Parlamenten die Entwicklung der Integration. Namhafte Referenten aus Politik und Wissenschaft nahmen vom 14. bis 16. Februar 2014 neben Funktion und Arbeitsbereichen des Europäischen Parlaments auch dessen Stellung im europäischen Interaktionssystem und sein facettenreiches Innenleben unter die Lupe.

Bilanz und Herausforderungen in zentralen Funktionsbereichen

Wer anders als Ingo Friedrich könnte besser über den europäischen Parlamentarismus bilanzieren und eine Tagung wie diese eröffnen? Der langjährige Abgeordnete (1979-2009) und ehemalige Vizepräsident des Europäischen Parlaments hielt eine flammende Rede für diese Institution („alle großen Ideen werden hier diskutiert, dekliniert und realisiert“). Bei seinem Ritt durch das europäische Themenspektrum wurde der 72-Jährige so deutlich, dass er Angst hatte, „sich um seine politische Zukunft zu reden“. Zentral war dabei seine Sorge vor dem Einzug vieler Rechtspopulisten in das Europäische Parlament der Jahre 2014 bis 2019 und deren Einfluss bei der Besetzung der Spitzenpositionen. Andererseits zeigte sich Friedrich erfreut über das Zusammenwachsen einer europäischen Parteifamilie und der Vernetzung der EU-Parlamentarier mit den nationalen Mandatsträgern.

Zahlen, Daten und Fakten zu Entscheidungen, Ausschüssen und Lesungen des Europäischen Parlaments lieferte Co-Tagungsleiter Prof. Dr. Andreas Maurer von der Universität Innsbruck. Dabei konnte er zwar eine Machterweiterung des Parlaments feststellen, gleichzeitig auch immer mehr Fälle – die Eurokrise hat es gezeigt – in denen der Europäische Rat, bzw. der Ministerrat alleine entscheiden kann. Dr. Martin Große Hüttmann von der Universität Tübingen bezeichnete das Europäische Parlament als „Schatzkiste konstitutioneller Ideen“. Er stellte die Geschichte der europäischen Integration als die eines Verfassungsprozesses dar – dieser verläuft im Schatten der Konferenzen der Regierungschefs, die mitnichten ein Monopol auf wegweisende Entscheidungen haben.

Co-Tagungsleiter Dr. Dietmar Nickel erläuterte die Aufgaben des Europäischen Parlaments vor und nach den Wahlen im Mai: so gibt es zum Beispiel kein endgültig vorgeschriebenes Verfahren für die Wahl des Präsidenten der EU-Kommission – die Abgeordneten werden aber sicher mitreden wollen. Dass die Parteien Europäische Spitzenkandidaten für die Wahl nominieren, werde Verhandlungen im Parlament zur Folge haben nach dem Motto: gib Du mir den Kommissionspräsidenten, dann bekommst Du den Ratspräsidenten. „Hier den Anschein des Postengeschachers zu vermeiden, wird nicht leicht“, meint Nickel.

Profilbildung im und Wahlen zum Europäischen Parlament

Der zweite Tag unserer Veranstaltung begann mit einem Panel, in dem Prof. Dr. Jürgen Mittag (Jean-Monnet-Professor an der Sporthochschule Köln) die Verhandlungslogiken und Entscheidungsmuster der Parteien und Fraktionen im Europäischen Parlament (EP) erläuterte. Sein Kollege Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin stellte interessante Trends der vergangenen Jahrzehnte vor: so sinkt die Wahlbeteiligung zum EP seit 1979 europaweit, mittlerweile auf durchschnittlich 43 Prozent, im Schnitt wählt ein gutes Drittel weniger als auf nationaler Ebene. Komischerweise vertrauen die Menschen ihren Europaabgeordneten aber mehr, sehen deren Arbeit als zunehmend wichtiger an – haben aber das Gefühl, von ihren Entscheidungen kaum betroffen zu sein. Das mag daran liegen, dass Parteien und Medien nach Ansicht Niedermayers „in einem unseligen Teufelskreis von Erwartungen feststecken, in dem die Europawahlen als unwichtig angesehen werden“. Eventuell ändern ja die Eurokrise, die europäischen Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteien und die Diskussion über Form und Größe der EU daran etwas. Oder auch nicht.

Wie das Europäische Parlament die Bürger über die Wahlen im Mai informiert, erklärten Markus Warasin und Wilhelm Lehmann. Letzterer hofft, dass die Wahlberechtigten durch drei langfristige Strategien zum Urnengang bewegt werden: die Entwicklung europäischer Politikprogramme, die Personalisierung und Politisierung des Wahlkampfes und die Europäisierung des Parteienwettbewerbs. Markus Warasin erläuterte die Entstehung der Informationskampagne zu Europawahl – und die Schwierigkeit, englische Slogans in 24 Amtssprachen zu übersetzen, der Gier der Medien nach Skandalisierung und Protest entgegenzuwirken und Vorurteile gegenüber der EU abzubauen. Waren die Kampagnen zu den vergangenen Wahlen gänzlich unpolitisch, liegt der Fokus nun auf dem Wahltermin, drei Schlagworten („Handeln. Mitmachen. Bewegen.“), dem offenen Ansprechen der Probleme der EU sowie dem TV-Duell der Spitzenkandidaten.

Dr. Doris Dialer, Pressesprecherin der Vizepräsidentin der Grünen EP-Fraktion, stellte das breite Kommunikationsangebot des Europäischen Parlaments vor. Der Fernsehkanal EuroparlTV sei ein einmaliges Angebot, ebenso der EP Newshub, eine Plattform, die die Aktivitäten der Abgeordneten in den Sozialen Netzwerken sammelt. Umfang und Methoden der Lobbyarbeit in der EU untersuchte Dr. Christine Quittkat in einer groß angelegten Studie. Wie für die Bürger, so sind auch für Lobbyisten sind die komplexen Strukturen der EU eine große Herausforderung. Erfolgreiches Lobbying hänge zudem auch stark von Fremdsprachenkenntnissen ab.

Johann Schoo, Direktor a.D. des Europäischen Parlaments, erläuterte dessen Kontrollrechte und betonte besonders die zentrale Rolle der regulären Ausschüsse. Die Untersuchungsausschüsse hingegen seien zahnloser Tiger, da sie rechtlich deutlich schlechter gestellt sind als ihre Äquivalente in den Mitgliedstaaten. Prof. Dr. Gabriele Abels und Dr. Annegret Eppler von der Universität Innsbruck nahmen das Verhältnis zwischen dem Europäischen und den nationalen Parlamenten in den Blick. Trotz verstärkter Koordinierungsbemühungen, beispielsweise durch die EU-Parlamentspräsidenten-Konferenz (EU-PPK) und durch die Konferenz der Ausschüsse für Europaangelegenheiten der nationalen Parlamente (COSAC) prognostizierten sie die Fortsetzung des Konflikts zwischen dem Wirkungsanspruch des Europäischen Parlaments und dem Kontrollanspruch der nationalen Parlamente.

Herausforderungen des EP in zentralen Politikfeldern

Am Abschlusstag unserer Konferenz lag der thematische Fokus auf Politikbereichen, in denen die Kompetenzen des Europäischen Parlaments noch im Aufbau begriffen sind. So bemühen sich die nationalen Regierungen in der Wirtschaftspolitik, diesen Bereich der Kontrolle durch das Europaparlament weitergehend zu entziehen, so Rene Repasi von der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg. In der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sind die Kompetenzen des Europaparlaments durch den Vertrag von Lissabon zwar gestärkt worden, aber immer noch sehr schwach. Neben der Auskunftspflicht der Hohen Vertreterin für Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik gegenüber dem Parlament hob Dr. Anja Opitz (APB Tutzing) vor allem die Budgethoheit als Machtmittel des Parlaments hervor.

Einen Zuwachs an Kompetenzen hat das Parlament durch den Vertrag von Lissabon in der Justiz- und der Handelspolitik gewonnen. Bisher sei das Parlament der „Grundrechte-Champion“ der EU gewesen, erläuterte Daniela Kietz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seit dem Vertrag von Lissabon beobachtet sie die Stärkung „sicherheitsorientierter Positionen“ im Parlament. Auch der Machtzuwachs in der Handelspolitik stelle laut Prof. Dr. Andreas Maurer eine besondere Herausforderung dar. Er blickt mit Spannung auf die kommende Legislaturperiode und den sich abzeichnenden Machtkampf zwischen Handels- und Außenpolitikausschuss. Die zentrale Herausforderung der EU sei jedoch, so Prof. Dr. Peter Schiffauer vom Europäischen Parlament: was macht Demokratie in einem transnationalen Kontext aus? Die kommende Europawahl, bei der erstmals europäische Spitzenkandidaten antreten, wird möglicherweise das Verhältnis zwischen Kommission und Parlament neu ordnen. Das Panel unter der Moderation durch Dr. Theo Sommer beschloss mit diesem Ausblick auf zukünftige Herausforderungen eine spannende und debattenreiche Tagung.


Bildergalerie

Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing


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