Von der Sozialen Marktwirtschaft

9. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung im Exerzitienhaus Himmelspforten

Würzburg / Tagungsbericht / Online seit: 28.09.2014

Von: Sebastian Haas

# Sozialstaat, Wirtschaft

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Die Soziale Marktwirtschaft gilt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Garant für Demokratie und Wohlstand in Deutschland. Ein in Stein gemeißeltes ordnungspolitisches Modell ist sie jedoch nicht. Immer wieder waren Anpassungen – zuletzt durch die Agenda 2010 – nötig, damit möglichst jeder seines Glückes Schmied bleiben kann. Diese Reformfähigkeit ist ein wichtiger Grund dafür, warum Deutschland auch die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise beinahe unbeschadet überstanden hat und sich als Stabilitätsanker in Europa erweist. Beim „9. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung: Fundamente der Sozialen Marktwirtschaft“ debattierten die Gäste der Akademie für Politische Bildung Tutzing vom 26. bis 28. September 2014 im Exerzitienhaus Himmelspforten in Würzburg.

Professor Nils Goldschmidt (Universität Siegen) und Wirtschaftsethiker Christoph Lütge (Inhaber des Peter-Löscher-Stiftungslehrstuhls an der TU München) beschäftigten sich mit der Ethik der Sozialen Marktwirtschaft – die letztlich dafür sorgen soll, möglichst alle Mitglieder einer Gesellschaft am Wirtschaftsleben zu beteiligen und sozial abzusichern. Dabei stellte Christoph Lütge das Modell des ehrbaren, nach wirtschaftsethischen Prinzipien handelnden Kaufmanns vor. Unsere ethischen Kategorien, mit der wir diesen Kaufmann aber beurteilen, hinken der modernen Wirtschaftwelt hinterher und müssen grundlegend anders konzipiert werden. Sich am Wettbewerb um Geld, Arbeitskräfte und Marktführerschaft zu bewerben, ist nun einmal unumgänglich, und führt zu Kreativität, Disziplin, Selbstverwirklichung und der Zerstörung von Machtzentren. Was aber ist mit der Moral? „Sie wird in die Regeln der Wirtschaft eingebaut, wie in die sogenannte Corporate Social Responsibility. Der Wettbewerb findet also in Spielzügen statt“, meint Lütge. „Der ehrbare Kaufmann hat nicht ausgedient. Aber er wird in der globalisierten Wirtschaft vor allem durch sturkturelle Manahmen und weniger durch persönliche Tugenden umgesetzt.“

Von ehrbaren Kaufmännern und Ludwig Erhard

„Übervoll des Wissens über Grundlagen und Bedeutungswandel der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und Europa“ – so kann man Professor Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld beschreiben. Der Wirtschaftshistoriker erläuterte, dass erste Modelle sozialer Marktwirtschaft bereits um 1930 entstanden, damals noch unter dem Etikett „Reformliberalismus“ und immer unter dem Verdacht, sich dem nationalsozialistischen Wirtschafts- und Herrschaftssystem anzubiedern (eine Aussage, der Nils Goldschmidt in Bezug auf die Freiburger Schule vehement widersprach). Was nach dem Zweiten Weltkrieg unter Ludwig Erhard geschah, bezeichnet Abelshauser als „produktive Ordnungspolitik“: der Staat schaffte es, gleichzeitig einen Rahmen für ein soziales System der Produktion zu entwickeln und die deutsche Wirtschaft international wettbewerbsfähig zu machen. Dass infolge des Koreakriegs Verbände und Gewerkschaften mehr Macht entwickelten und ein aufgeblähter Sozialstaat nach Adenauers Willen entstand, hatte aber zur Folge, dass sich auch die Vorstellungen von einer sozialen Marktwirtschaft weiter entwickeln mussten.

„Die deutsche Wirtschaftspolitik orientiert sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts am Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Es geht zurück auf Ludwig Erhard, der von 1949 bis 1963 der erste Bundeswirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland war.“ Das erklärt das Wirtschaftsministerium noch heute. Doch welche Bedeutung hat das Denken Erhards heute tatsächlich noch? Das thematisierte Professor Horst Friedrich Wünsche, der selbst fünf Jahre lang für Erhard gearbeitet hat und zwischenzeitlich die Ludwig-Erhard-Stiftung leitete. „Die Wirtschaftspolitik seit Erhards Rücktritt als Bundeskanzler zielt nicht mehr auf Wohlstand für alle, sondern auf Wirtschaftswachstum“, meint Wünsche. Um die versprochenen „Blühenden Landschaften“ zu realisieren, war zunehmend eine staatliche Interventionspolitik nötig, die aber in der weltweit vernetzten Wirtschaft wenig Wirkung zeigte und bei der immer weniger Beitragszahler immer mehr Personen mit ihren Abgaben absichern mussten. Kurz: „Die heutige Politik agiert nicht marktwirtschaftlich.“ Im Sinne Ludwig Erhards, der nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die Eigeninitiative der Menschen im Blick hatte, sei das nicht.

Sozial - oder nicht?

Eine intensive Diskussion darüber, ob die Soziale Marktwitschaft ausreichend sozial ist, entwickelte sich während des Vortrags von Professor Peter Hampe (Hochschule für Politik München). Dabei wurde deutlich, dass gerade die Deutschen besonders hohe Ansprüche stellen – und daher soziale Faktoren der eigenen Wirtschaftsordnung gerne unterschätzen. Ob und wie Ideen der Sozialen Marktwirtschaft in Osteuropa vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs rezipiert wurden, erklärte und diskutierte Professor Piotr Pysz (Hochschule für Finanzen und Management Bialystok). Außerdem stellte er Ergebnisse einer aktuellen Studie seiner Studierenden vor; demnach ist der Transformationsprozess hin zur freien Wirtschaft in Polen trotz unruhigerer politischer Bedingungen (deutlich mehr Regierungswechsel, Regierungschefs und Finanzminister als in Deutschland) besser verlaufen ist als in der ehemaligen DDR – jedoch bleibt es ein diskutabler Äpfel-und-Birnen-Vergleich.


Weitere Informationen

„Für Freiheit und Verantwortung“: Die Ludwig-Erhard-Stiftung

Das Wechselspiel von Ökonomie und Gesellschaft: Das Wilhelm-Röpke-Institut

Zur Geschichte der Freiburger Schule der Ökonomie


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