Ein Blick hinter den Schleier
Sommerakademie zur Internationalen Politik über den unbekannten Riesen Saudi-Arabien
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 29.08.2014
Von: Anja Opitz und René Rieger
# Naher und Mittlerer Osten
Auch so funktionieren Referate: Dr. Mark Thompson war per Skype zugeschaltet - aus der King Fahd University of Petroleum and Minerals in Dhahran (Saudi-Arabien) nach Tutzing am Starnberger See (Foto: Haas).
Das Königreich Saudi-Arabien, ein mit zahlreichen Klischees behafteter, doch uns zugleich weitgehend unbekannter Staat des Mittleren Ostens. Die diesjährige Tutzinger Sommerakademie Internationale Politik warf einen tiefgründigen Blick auf diese Monarchie und zeigte nicht nur die enge Verflechtung zwischen politischen und religiösen Autoritäten auf, sondern thematisierte auch die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die gesellschaftlichen und politischen Strukturen im Land.
Die zentralen Herausforderungen, denen sich das Land gegenwärtig gegenüber sieht, lassen sich in zwei Aspekte zusammenfassen: Zum einen finden sich die weltweit zweitgrößten Erdölvorkommnisse genau entlang der Linie einer konfessionellen Spaltung, welche das gesellschaftliche Zusammenleben in Saudi-Arabien prägt: der Spaltung zwischen der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit und der vielfach diskriminierten schiitischen Minderheit. Zum anderen sieht sich auch Saudi-Arabien einer bedeutenden Herausforderung gegenüber, welche in den vergangenen Jahren partielle Ursache für Unruhen und Revolutionen in anderen arabischen Staaten war: ein hohes Bevölkerungswachstum, welches mit einer steigenden Rate der Jugendarbeitslosigkeit einhergeht. Viele junge, teils im Ausland sehr gut ausgebildete Saudis finden keine Arbeit, die ihrem Ausbildungsniveau entsprechen würde. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 10,5 Prozent; die Dunkelziffer und vor allem die Jungendarbeitslosenquote liegen noch höher.
Westliches Politikverständnis schwer nachvollziehbar
Interessant an dieser Stelle ist die Verzahnung unterschiedlicher Demokratie- und Wertevorstellungen, die sich bei genauem Betrachten gesellschaftlicher Strukturen erkennen lässt. Dr. Mark Thompson, Professor für Politikwissenschaft an der King Fahd University of Petroleum and Minerals in Dhahran erklärt seinen Studenten oft: „You can be the best engineer in the world. But if you don’t know how the world works today, you are not going to come very far“. Freilich gilt dies für jedes Handwerk auf der Welt, doch erst in zahlreichen Gesprächen mit der Bevölkerung und insbesondere der politischen Führung des Landes wird ein markanter Unterschied zwischen der arabischen und westlichen Welt deutlich: So ist das westliche Politik- und Demokratieverständnis, dessen Charakteristikum eine durch Wahlen bedingte, veränderliche Politik hervorbringt, insbesondere für saudische politische Entscheidungsträger schwer nachvollziehbar. Die politische Kultur Saudi-Arabiens zeichnet sich durch eine Art verlässliche Kontinuität aus; ein Politikwechsel alle vier bis fünf Jahre wird aus diesem Grund nicht selten einem Wortbruch gleichgesetzt. Aus Sicht der saudischen politischen Elite fällt der politischen Freiheit des Westens regelmäßig die Verlässlichkeit ihrer strategischen Partner zum Opfer.
Das Gleichgewicht der Kräfte erhalten
Kulturelle Unterschiede lassen sich auch bei genauerer Betrachtung politischer Prozesse erkennen. Die Außenpolitik Saudi-Arabiens ist eine weitgehend reaktive, aber in Methodik, Strategie und Norm sehr konstante Politik die durch langsame Entscheidungsfindungsprozesse bedingt wird. Langwierige Kommunikationsverfahren sowie ein stetes Streben nach Konsens innerhalb des Regimes sind hier zentrale Merkmale. Das Königreich sieht sich als Regionalmacht, die ihren Einflussbereich auf der Arabischen Halbinsel sichern und das Kräftegleichgewicht im Nahen und Mittleren Osten zugunsten moderater Kräfte zu beeinflussen sucht. Neben nationalstaatlicher Sicherheit und regionaler Stabilität zählen wirtschaftliche Prosperität und die Aufrechterhaltung der bald siebzigjährigen strategischen Allianz mit den USA zu den Grundpfeilern saudischer Außenpolitik.
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