Religion, Krieg und Frieden

Viele aktuelle Konflikte haben eine religiöse Dimension - Fachtagung

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 01.03.2014

Von: Sebastian Haas und Katharina Hering

# Religion

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Ob Heiliger Krieg oder Jihad – seit Jahrhunderten sind Religionen immer wieder Auslöser gewalttätiger Konflikte, und viele aktuelle Konflikte haben eine religiöse Dimension: sei es der Nahost-Konflikt oder die Bürgerkriege in Syrien und der Zentralafrikanischen Republik. Der spannungsreichen Beziehung zwischen Frieden, Krieg und Religion ging die Akademie für Politische Bildung Tutzing am 28. Februar und 1. März 2014 auf den Grund.

Was hat Religion mit Krieg zu tun? Sind die Ein-Gott-Religionen per se brutal und intolerant, weil sie ihren Wahrheitsanspruch so offensiv nach außen tragen? Diesen Fragen ging zum Beginn unserer Tagung Professor Micha Brumlik nach. Der Religionsphilosoph von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt erläuterte, dass die Durchsetzung des Monotheismus (zunächst bei den Israeliten, später im Christentum und im Islam) als Geschichte der Gewalt und Herrschaft der Angst verstanden werden kann. Dass aber diese Religionen alleine gewalttätig sind, ist doch anzuzweifeln, wenn man dagegen die Opferzahlen der Weltkriege, der assyrischen oder mongolischen Feldzüge sowie des Großen Sprungs in Maos China anführt – diese hatten alle nichts mit Ein-Gott-Religionen zu tun. Allerdings gab Brumlik zu bedenken: solche Vergleichsrechnungen sind immer umstritten, und die Grenzen zwischen ideologischer Verehrung eines großen Führers und der religiösen Gottesverehrung sind fließend.

Man kann das Ganze aber auch anders sehen: Das Friedenspotenzial von Religionen thematisierte Professor Bernhard Uhde von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der Theologe erklärte: „In den fünf großen Weltreligionen ist ein Friedenselement vorhanden, das die Welt verändern könnte, würden sich die Gläubigen daran halten.“ So gilt in der Tora die Nächstenliebe als Grundbedingung für den Frieden, Christen beugen sich einem friedensstiftenden höheren Willen, zentral ist im Koran der Aufruf Gottes zu Frieden und Barmherzigkeit. Eigentlich ist also alles ganz einfach – wären da nicht die religiösen Institutionen, die auch der weltlichen Macht anhängen, und dazu die Abermillionen Nichtgläubigen und deren vermeintliche Bekehrer.

Christentum und Islam: „Gerechter Krieg" als Mittel der Verteidigung?

Die Frage nach dem gerechten Krieg stellt sich für Professor Volker Stümke in besonders drängender Weise: der evangelische Theologe unterrichtet an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Dabei betonte Stümke, dass das Christentum keine per se pazifistische Religion sei. Gruppierungen, die radikalen Pazifismus vertraten, wie die Katharer, Waldenser, Mennoniten und Quäker wurden von kirchlichen Autoritäten stets bekämpft. Die Lehren Augustinus zum gerechten Krieg und Luthers Begründung der christlichen Pflicht zur Nothilfe fänden noch heute Anwendung. Die responsibility to protect, die humanitäre Interventionen legitimiert, sei nur ein moderner Begriff hierfür. Stümke betonte jedoch, dass Krieg auch unter christlichen Theologen nur zur Verteidigung legitim ist und kein Mittel zur Bekämpfung anderer Religionen oder zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen sein darf.

Nicht nur im Christentum, auch im Islam wurde Krieg früh thematisiert. „Der Islam ist in erster Linie eine politische Erfolgsgeschichte“, meint Professor Mathias Rohe, Leiter des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa. Obwohl seine frühe Geschichte geprägt war von kriegerischen Auseinandersetzungen, entwickelte sich der Islam zu einer Religion mit starker Toleranz für Andersgläubige. Unter islamischer Herrschaft erlebten sie weder Vertreibungen noch Pogrome, lediglich das Steuersystem benachteiligte sie. Muslimische Gelehrte entwickelten für den gerechten Krieg ähnliche Maßstäbe wie auch Augustinus und Luther. Noch heute stellen die Vertreter der toleranten Auslegung des Islams die Mehrheit, allerdings fällt es ihnen zunehmend schwerer, sich gegenüber der lautstarken und finanzkräftigen extremistischen Minderheit Gehör zu verschaffen, die auch „Scheich Google“ dominiert. Der Westen sei in der Pflicht die modernen Stimmen des Islam durch einen offenen Dialog zu stärken und sich nicht von fundamentalistischen Eliten blenden zu lassen.

Zur Trennung von Religion und Politik

Professor Karsten Fischer, Leiter des Voegelin-Zentrums für Politik, Kultur und Religion am Geschwister-Scholl-Institut der LMU, erläuterte zum Abschluss unserer Tagung das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Religion seit der Antike, wo erstmals eine Trennung der beiden Sphären vollzogen wurde. Seitdem besteht die Ansicht, dass eine Gesellschaft autonom über ihre eigenen Normen bestimmen – also politische Entscheidungen treffen – soll. Dagegen steht im Denken der Menschen die Religion, die ewig gültige Vorgaben proklamiert. Machtpolitische Kontroversen wie der Investiturstreit oder die Reformation trennten die geistliche Handlungssphäre weiter von der weltlich-politischen und führten letztendlich zum säkularen Staat, in dem Politik und Kirche getrennt sind.

Der heutige Verfassungsstaat erlaubt nun religiöse Teilhabe und freie Religionswahl. Die einfache Teilung „Politik gleich Krieg – Religion gleich Frieden“ funktioniert damit nicht mehr (zumal Fundamentalisten sich im liberal-demokratischen System gegen sämtliche Prinzipien der modernen Welt stellen können). Und somit steht man wieder am Beginn der Diskussion über das Verhältnis von Politik, Religion, Krieg und Frieden.


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