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Der Bundestag und die Große Koalition

Zur Gestaltungsmacht des Parlaments / Mit MdB Bartsch, Grosse-Brömer, Straubinger und Grünen-Landeschef Hallitzky


Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 11.11.2014

Von: Beryll Kunert

# Parlamente Parteien Partizipation

Download: Parlamentarische Gestaltungsmacht


Der Bundestag ist das Zentrum demokratischer Entscheidungsfindung in der Bundesrepublik. Doch kann er diese Funktion in Zeiten der Großen Koalition erfüllen? Wie kommen Entscheidungen in der GroKo zustande? Inwieweit kann die Opposition Einfluss nehmen? Welche Ziele und welche Zukunft hat der 18. Deutsche Bundestag? Es wurde heftig diskutiert, am Wochenende des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls, auf dem Podium und bei den Teilnehmern. Neben namhaften Wissenschaftlern waren unter anderem die Abgeordneten Michael Grosse-Brömer, Dietmar Bartsch, Eike Hallitzky und Max Straubinger in der Akademie zu Gast.

Entparlamentarisierung?

Unser Altdirektor Heinrich Oberreuter zeigte anhand einiger Beispiele, dass es Indizien für eine gefährliche Entparlamentarisierung in Deutschland gibt. Es werde zunehmend der Eindruck erweckt, dass dem Parlament die Ergebnisse der Ausschüsse nur noch zum Abzeichnen vorgelegt würden und keinen Einfluss auf Gesetzesinhalte hätten. Oberreuter stellte drei Problemkreise vor: Erstens den Ausbruch einer postparlamentarischen Demokratie in der Entscheidungen meist in Hinterzimmern statt im Parlament getroffen werden. Zweitens die Entparlamentarisierung durch den Einflusszuwachs der EU. Drittens den Verlust der Kommunikation zur legitimitätsstiftenden Bevölkerung. Oberreuter rief dazu auf dem Volk parlamentarische Ergebnisse besser zu vermitteln. Da die Demokratie die einzig erhaltenswerte Herrschaftsform ist, brauche es ein engagiertes Volk und gute Parlamentarier. „Der Deutsche Bundestag ist im europäischen Vergleich das mächtigste Parlament.“  Dieses Fazit  zieht Michael Koß (Ludwig-Maximilians-Universität München) anhand von Daten zu Fragerechten, Einfluss und Ausgangslage des Bundestags.

Management und Mechanismen der GroKo

Wie arbeitet eine Große Koalition eigentlich? Mehrere Thesen dazu stellt Patrick  Horst von der Universität Passau vor:

  • Es herrsche in einer Koalition zwar Geltungsdruck, doch führe eine Große Koalition nicht zu parlamentarischer Ohnmacht.
  • Das Kabinett sei als politisches Entscheidungszentrum ungeeignet, während der Koalitionsausschuss eine Tendenz zur Aufblähung habe.
  • Koalitionsverhandlungen verlangen es eine intensive innerparteiliche Überzeugungsarbeit. Die Koalitionsverträge seien beweglich, da sie zwar politisch, aber nicht rechtlich bindend sind.
  • Im Krisenmanagement rund um die Edathy-Affäre hätten Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer abgestimmt agiert und so einen Bruch der Koalition verhindert.
  • Die GroKo sei generell beherrscht von den Parteichefs; der Koalitionsausschuss und die Fraktionschefs spielten nur Nebenrollen.
  • Horst verglich das Koalitionsmanagement einer Großen Koalition mit der Buchführung eines Bankkontos, Soll und Haben, ein ständiges Geben und Nehmen.

Wie dieses Geben und Nehmen in der Realität aussieht, erklärten zwei große Namen aus dem Politikgeschehen: Michael Grosse-Brömer, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Bundestag, und Ludwig Stiegler, ehemaliger Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag. Der Jurist Grosse-Brömer betonte, dass eine Große Koalition nie das Wunschergebnis einer Wahl sei und dass neben professionellem Verhalten vor allem Vertrauen unter den Kollegen notwendig ist. In den Koalitionsverhandlungen seien Inhalte unbedingt wichtiger als personelle Besetzungen. Er lobte die SPD, dass sie gegenüber 2005 dazu gelernt habe und nicht mehr versuche Regierung und gleichzeitig Opposition zu sein. Er sehe, genau wie die Bundeskanzlerin, die Fraktionen als die Machtzentren an. Auf einen Einwand des Publikums bezüglich der Geschwindigkeit der Entscheidungen, die im Bundestag getroffen und verabschiedet werden, antwortete Grosse-Brömer: „Demokratie ist kein Rennpferd, aber sie kommt sicher ins Ziel.“ Für seine markigen Sprüche bekannt ist auch Ludwig Stiegler, der 29 Jahre lang Abgeordneter im Bundestag war. Er stimmte Grosse-Brömer zu, dass vor allem Vertrauen und Professionalität entscheidend für eine gute Zusammenarbeit sind. Verschiedene Entscheidungsmechanismen, vom Kabinett in den Bundestag (top-down), und vom Bundestag ins Kabinett (Bottom-up) brächten auch die Opposition ins Spiel. Einig war man sich: eine „ewige Große Koalition“ sei nicht wünschenswert. Nur Differenz schaffe Mobilisierung, Hoffnung und Bewegung.

Die Rolle der Opposition

Dies unterstrich auch die Verwaltungsleitung im Bundestag Susanne Linn. Eine Opposition gehöre zu Kultur und Vitalität einer parlamentarischen Demokratie und sei gleichzeitig verfassungsrechtliches Gebot, da sie die Regierung kontrolliere. Sie stellte in ihrem Vortrag die juristischen Rahmenbedingungen der Oppositionsarbeit vor. Linn erklärte, dass die Große Koalition kein Ende wirksamer Oppositionsarbeit darstelle: die Redezeit jeder Fraktion wird im Bundestag proportional berechnet, die Opposition erhält aber überproportionale Redezeit, um ihr eine Chance zu geben, konstruktive Kritik an der Regierungsarbeit zu üben.

In der folgenden Podiumsdiskussion konnten zwei der drei Diskutanten vielfach aus eigenem Erfahrungsschatz schöpfen: Neben Max Straubinger (Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag) waren Eike Hallitzky (Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen) und Dietmar Bartsch (Stellv. Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag) in der Akademie für Politische Bildung zu Gast. Bartsch nennt Qualität und nicht Größe als die entscheidende Kategorie für eine erfolgreiche Oppositionspartei. Diese solle außerdem immer als Ziel die Bildung eines eigenen Profils und Wählermaximierung haben. Auch Eike Hallitzky glaubt an die Macht der Opposition. Die Grünen hätten beispielsweise den Atomausstieg nach dem Reaktorunglück in Fukushima bewirkt, indem sie die Öffentlichkeit mobilisiert hätten. Zukunftsgedanken, mit wem man ab 2017 zusammenarbeiten könnte, spielten in der aktuellen Politik keine Rolle. Max Straubinger erkennt Opposition auch innerparteilich in den eigenen Reihen. Da aber die Exekutive die Legislative diktiere, also der Bundestag bestimme, was im Parlament geschieht, sei Oppositionsarbeit schwierig. Bessere Parlamentsarbeit sei durch eine Reduzierung der Anträge erreichbar.

Das Vertrauen in die Demokratie sei aber insgesamt bei allen Wählern recht hoch, bestätigte Stefan Merz (Projektdirektor Wahlen bei infratest dimap). Statistisch ungewöhnlich seien die Werte zur Zufriedenheit der Wähler und der Sonntagsfrage, die sich seit der Wahl vor einem Jahr kaum verändert haben. Zur "Randpartei" AfD zeigte Merz auf, dass sie ihre Wähler vor allem aus vorherigen Nichtwählern und von CDU/CSU, Linke und FDP rekrutiere. Die Wähler seien meist männlich, unter 60 und persönlich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage. Merz bezeichnete die AfD als Sammelbecken der Enttäuschten.

Gegenwart und Zukunft

Als einen „rot gefärbten schwarz-rot-grün Mix“ bezeichnete Professor Manfred G. Schmidt (Uni Heidelberg) die politischen Inhalte des 18. Deutschen Bundestags. Als ungewöhnliche Konstellation bewertet er die überdimensionierte Mehrheit der Großen Koalition (achtzig Prozent der Sitze) im Parlament, bei gleichzeitiger Minderheit im Bundesrat. Die meisten Reformen habe es - Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63 und Reform der Pflegeversicherung - bislang im sozial-politischen Bereich gegeben. Die schwarze Null, die EEG-Reform und die Asylpolitik seien weitere Punkte auf der Agenda der GroKo. Neben diesen Entscheidungen bescheinigte Schmidt der aktuellen Koalition auch eine Politik durch Nicht-Entscheidung, beispielsweise bezüglich Investitionen und warnt vor der allgemein verbreiteten Annahme, dass Deutschlands Wirtschaft stark und erschütterungsresistent ist. Außerdem kritisiert er die von Bundesfinanzminister Schäuble anberaumten 10 Milliarden Euro, um die Investitionslücke zu schließen, als unrealistisch. Die politische Agenda der Großen Koalition spiegle aber grundsätzlich die Machtverteilung und die Kompromisse der beiden Regierungsparteien wider.

Eine Prognose zum Parteiensystem gab Professor Oskar Niedermayer (FU Berlin) ab. Sie habe sich weg vom Wirtschaftsliberalismus bewegt und den Wählern als einzige Alternative die AfD gelassen. Außerdem habe die FDP das erste Mal seit ihrem Bestehen keinen relevanten Spitzenpolitiker mehr. In Umfragen werden der FDP null Prozent Problemlösungskompetenz zugeschrieben, hinzu kommt ihre nicht vorhandene Medienpräsenz. Falls die AfD es schaffe mit mehr als der Anti-Euro-Kampagnen und ihren militanten Parteimitgliedern sichtbar zu sein, könne sie länger im deutschen Parteiensystem präsent bleiben. Niedermayer kann sich für 2017 eine schwarz-grüne Regierung mit der FDP als kleiner außerparlamentarischer Opposition vorstellen, da die Umfragewerte der Grünen und der Union, vor allem von Kanzlerin Merkel, konstant relativ hoch sind.

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