Die Machtfrage
Aufstieg und Niedergang von Nationen
Sie eröffneten die Tagung an der Akademie für Politische Bildung Tutzing: (v.l.) unser Kooperationspartner und Mit-Tagungsleiter Dr. Martin Held (Evangelische Akademie Tutzing), Prof. Dr. Harold James (Princeton), Prof. Dr. Jürgen Jerger (Princeton) und unser Dozent für Wirtschafts- und Sozialpolitik Dr. Wolfgang Quaisser (Fotos: Haas).
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 24.05.2014
Von: Sebastian Haas
# Internationale Politik, Zeitgeschichte
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Nationen steigen auf und wieder ab. Doch was entscheidet über ihre Macht? Geben Ressourcen, Klima, Demographie oder Institutionen den Ausschlag? Das Gleichgewicht der Mächte ist ständig in Bewegung. So kämpfen die USA und Europa mit erheblichen wirtschaftlichen und politischen Problemen, während die weniger stabilen BRICS-Staaten an Einfluss gewinnen.
Bei unserer Tagung „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Tutzing haben wir am 23. und 24. Mai 2014 diskutiert, wie sich die globalen Machtverschiebungen in historische, ökonomische und geostrategische Dimensionen einordnen lassen – und welche Konsequenzen aus aktuellen Krisen in und um Europa, Amerika und China gezogen werden müssen.
So beschrieb Professor Harold James (Princeton) die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher, militärischer und national-politischer Stärke im Laufe der Jahrhunderte. Seine Ausführungen reichten von Alexander Hamiltons Einführung gemeinschaftlicher Schulden in den USA des späten 18. Jahrhunderts über die Bedeutung des Eisenbahnbaus für die Entwicklung eines deutschen Nationalbewusstseins in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Rolle Chinas als Wirtschaftsmotor im Hier und Jetzt. Harold James machte dabei deutlich: der Aufstieg des einen muss nicht den Abstieg eines anderen zur Folge – oder als Grund – haben.
Ähnlich argumentierte Professor Jürgen Jerger (Regensburg), der neben wirtschaftstheoretischen Interpretationen auch empirische Befunde zum Aufstieg und Niedergang von Nationen anführte. Der Blick auf die Zahlen zeigt: seit 200 Jahren steigt die weltweite Wirtschaftskraft exorbitant und vom Wachstum des einen profitieren auch die anderen. Doch ein Aufstieg kann auch reiner Zufall sein. Dass gerade Katar mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von über 90.000 US-Dollar das reichste Land der Welt ist, hat weniger mit langfristigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu tun oder der exakt durchschauten (und seit Adam Smith proklamierten) Zusammenhänge von Arbeit, Kapital und Effizienz – sondern mit den Ölvorkommen, die es eben dort gibt und nicht im Sudan. An ein Ende des globalen Wirtschaftswachstums glaubt Jürgen Jerger übrigens nicht: das Innovationspotenzial der Menschheit sei immens und werde auch das Ende fossiler Energieträger ausgleichen.
Die Krisen bringen Europa zusammen
Wie große Krisen das Werden des heutigen Europa beschleunigt haben, erklärte Professor Daniel Göler (Passau) – und bezeichnete die EU dabei als „Konkursmasse aus dem Untergang europäischer Nationalstaaten nach den beiden Weltkriegen“. Der Gedanke, dass Europa nur gemeinsam politisch, wirtschaftlich und kulturell überleben kann, entstand bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bei den Gründervätern der paneuropäischen Union und Politikern wie Aristide Briand oder Gustav Stresemann. Mitten in den Kriegswirren arbeitete Jean Monnet im August 1943 ein Memorandum zur Organisation eines friedlichen, weil wirtschaftlich eng verflochtenen Europas aus.
Der Rest der Geschichte ist bekannt: Schuman-Plan, Montanunion, EWG, EG, EU – und deren Erweiterung als Antwort auf die Transformationsprozesse in Südeuropa ab 1970 und Osteuropa ab 1990. Dazu kommt die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – als Antwort auf die Balkankriege; die Zusammenarbeit im Inneren und der Justiz – als Antwort auf Terror und grenzüberschreitende Kriminalität; und vielleicht eine gemeinsame europäische Energiepolitik – als Antwort auf die Ereignisse in der Ukraine. So lautet Gölers Fazit: „Krisen haben Europa im Ergebnis immer näher zusammengebracht.“
Reichtum kommt nicht nur von Dienstleistung
Den Versuch, einen Aufstieg und Niedergang von Nationen mit dem Strukturwandel hin zu Dienstleistungsökonomien zu erklären, unternahm Professor Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft (Köln). Er konstatierte, dass es zwischen diesen Phänomenen keinen entscheidenden Zusammenhang gibt. Länder mit einer hohen Dienstleistungsquote – wie die USA, Großbritannien und vor allem Luxemburg – sind nicht per se wohlhabender als industriell geprägte Nationen wie Norwegen. So ist es wohl der gesunde Verbund aus Dienstleistung und Industrie, der für eine stabile Wirtschaftsleistung sorgt.
Ob sich die USA nach der Finanz- und Wirtschaftskrise auf dem absteigenden Ast oder nur in einem Zwischentief befinden, thematisierte Professor Andreas Falke (Erlangen-Nürnberg). Die Zahlen belegen, dass die Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten steigt und steigt und sie sich im Verbund mit Kanada und Mexiko zu einem Energieriesen entwickeln. Aber man kann auch feststellen: das Haushaltsdefizit ist riesig, es gibt viele Kreditausfälle, die soziale Ungleichheit wächst ebenso stark wie die Kosten für das Sozialsystem – bei einer gleichzeitigen relativen Senkung der Ausgaben für Infrastruktur, Militär, Bildung und Forschung. „Ein enormes Risiko, auch geostrategisch“, meint Falke, zumal je 20 Prozent der US-amerikanischen Staatsschulden in China und Japan zu begleichen sind.
Chinas Aufstieg als Rückkehr zur Normalität
Für uns mag dieser rasante Aufstieg Chinas verwunderlich sein, für die 1,3 Milliarden Bewohner des Landes ist es die Rückkehr zur Normalität. Wie Professor Markus Taube (Duisburg-Essen) erklärte, war China bis ins 18. Jahrhundert gemeinsam mit Indien für die Hälfte des weltweiten Wirtschaftsaufkommens verantwortlich. Dann kam die westliche Hemisphäre auf (Stichwort: Great Divergence) und mit ihr Kolonisationskriege, Bürgerkriege, dynastische Kriege, Weltkriege und zuletzt die kommunistische Herrschaft, zu deren Beginn die Wirtschaftsleistung Chinas auf das Niveau der vorchristlichen Zeit sank.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Machtausdehnung wirkt der Streit zwischen China und Japan um die unbewohnte Inselgruppe Senkaku/Diaoyu geradezu lächerlich. Professor Reinhard Drifte (Newcastle/London) beschrieb diese und weitere Streitigkeiten im Ostchinesischen Meer als solche um Wirtschaftszonen, Bohrinseln, Fischereirechte, Erdöl und Erdgas. Der Ausgang ist offen. Nur eines ist sicher: Die einen werden von den Inseln auf-, und die anderen absteigen.
Sebastian Haas
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