„Schaffen wir Arbeit oder schafft sie uns?“
Linken-Politiker Klaus Ernst zur modernen Arbeitswelt
Schweinfurt / Tagungsbericht / Online seit: 16.11.2013
Von: Gero Kellermann
# Gesellschaftlicher Wandel, Wirtschaft
Zur Podiumsdiskussion in Schweinfurt trafen sich: (v.l.) Klaus Ernst, Robert Grebner, Guido Heineck, Karl-Heinz Schmitz und Gero Kellermann.
Diese Frage stellte die Akademie auf unterfränkisch – nämlich bei einer Außentagung in Schweinfurt. In der dortigen Agentur für Arbeit fanden sich zahlreiche Vertreter des Arbeitslebens zusammen und diskutierten die Wandlungen der Arbeitswelt.
Akademiedozent Gero Kellermann und der Geschäftsführer der Schweinfurter Agentur für Arbeit Thomas Stelzer begrüßten Oberbürgermeister Sebastian Remelé, Repräsentanten von unterfränkischen Unternehmen, Kammern, Gewerkschaften, Arbeitsagenturen und Jobcentern sowie Vertreter aus Verwaltung und Schulen.
Einen Überblick über die Arbeitsmarktsituation in Deutschland gab Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dabei handelt es sich um das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. „Die Arbeitsmarktlage hat sich zuletzt stark verbessert. Dennoch gibt es weiterhin Probleme, den harten Kern der Arbeitslosigkeit zu integrieren“, sagte der Volkswirt. Walwei plädierte dafür, die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen weiterzuentwickeln, um die Beschäftigungsfähigkeit und „Aufwärtsmobilität“ zu entwickeln. Wegen der wachsenden Qualifizierungsanforderungen und teilweise beträchtlichen Arbeitsmarktferne ginge es insbesondere darum, Bildungsarmut zu vermeiden.
„Hauptsache Arbeit“ war lange ein Slogan, hinter dem sich viel versteckte, sagte der Soziologe Dieter Sauer vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München. Weite Teile der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien hohen Belastungen ausgesetzt. Sauer verwies auf Forschungen, nach denen insbesondere Termin-, Zeit- und Verantwortungsdruck sowie ein überhöhtes Arbeitsvolumen Grund für Überbelastungen seien. Sauer trat für eine stärkere Integration von Arbeit und Gesundheit ein. Zudem plädierte er dafür, Reklamationsverfahren zur Vermeidung überhöhter Zielvereinbarungen einzuführen.
Die Laufbahneinstellung macht's
„Wer hat Erfolg in flexiblen Arbeitswelten?“, lautete die Fragestellung der Arbeits- und Organisationspsychologin Judith Volmer von der Universität Bamberg. „Neue Karrieren“ seien zum einen durch eine proteische Laufbahneinstellung geprägt. Dies bedeute, dass durch gute Anpassungsfähigkeit (wie sie der griechische Meeresgott Proteus hatte) eine Person karrieremäßigen Fortschritt und Selbstverwirklichung zu erreichen sucht. Eine entgrenzte Laufbahneinstellung zeichne sich durch hohe physische und psychische Mobilität aus. Volmer legte dar, dass proteisch geprägte Karrieren sich insbesondere an subjektiven Karrierefaktoren wie Arbeits- und Karrierezufriedenheit orientieren. Erfolgsmaßstab für entgrenzte Karrieren seien dagegen seien eher die objektiven Faktoren wie Gehalt, Beförderung und Status.
Die die Tagung beschließende Podiumsrunde widmete sich dem Kernthema Bildung. Die zukünftige Bildungspolitik müsse auch die Frage in Blick nehmen, wie wir Kompetenzen von klein auf aufbauen können, sagte der Ökonom Guido Heineck von der Universität Bamberg, der Mitarbeiter des Nationalen Bildungspanels ist. Zu der Weiterbildung im Erwachsenenalter äußerte sich der ehemalige Linksparteichef und Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst. Weiterbildungsangebote gäbe es oft nur für diejenigen, die sich bereits auf einem höheren Bildungsniveau befinden. Zu den notwendigen Lernerfahrungen in der modernen Arbeitsgesellschaft gehöre es auch, sich zu engagieren und seine Interessen vertreten zu können, sagte das ehemalige Mitglied im Verwaltungsausschuss der Schweinfurter Agentur für Arbeit.
Die flexible Arbeitswelt braucht auch flexible Hochschulen, die durch eine hohe Durchlässigkeit gekennzeichnet sind, so Robert Grebner, der Präsident der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Mit Blick auf die demographische Entwicklung betonte Grebner, dass ein guter Studienstandort wichtige Vorteile bietet, qualifizierte Arbeitskräfte für die Region zu gewinnen. Karl-Heinz Schmitz, ehemaliger Leiter des Standorts Schweinfurt der ZF Friedrichshafen AG, sieht den Strukturwandel, der höherwertigere Produkte und Dienstleistungen notwendig macht, die demographische Entwicklung und die Gesetze der Wissensgesellschaft als die entscheidenden Faktoren an, die Arbeitsleben und Bildung in Zukunft prägen werden. Ungereimtheiten unseres Bildungssystems, wie die Entwertung der unteren Bildungsabschlüsse, müsse entgegengetreten werden, sagte der Personalexperte.
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