Grenzenloser Rechtsextremismus
Wir decken Strukturen auf und benennen Gegenmaßnahmen
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 23.11.2013
Von: Sebastian Haas
# Populismus und Extremismus
Professor Michael Minkenberg stellte sie in eine Reihe mit europäischen Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremisten - und das wird ihr nicht gefallen: Marine Le Pen, Vorsitzende des einflussreicher französischen Front National (Foto: Haas).
Rechtsextremismus ist kein rein deutsches Phänomen – das machten die Breivik-Attentate von 2011 erschreckend deutlich. Rechtspopulisten, Neonazis und Rechtsterror existieren in ganz Europa und in Übersee, sie sind vernetzt über Internet, Devotionalienhandel und Musikszene.
Um Strategien für sinn- und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu entwickeln ist ein Überblick über die ideologische und organisatorische Bandbreite rechtsextremer Parteien, Organisationen und Netzwerke sinnvoll. So eröffnete unsere gemeinsame Tagung mit der Petra-Kelly-Stiftung Professor Michael Minkenberg von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder mit fundamentalen Einsichten: jeder fünfte Europäer verhält sich in irgendeiner Weise negativ gegenüber seinen Mitmenschen – egal ob antisemitisch oder islamophob, feindlich gegenüber Menschen anderer Hautfarbe oder anderer sexueller Vorlieben. In den Niederlanden begeistert Geert Wilders die Wähler, in Frankreich ist es Marine Le Pen, die Rechtspopulisten haben in Österreich, Norwegen, der Schweiz und Dänemark regen Zulauf – ganz zu schweigen von den erschreckenden Entwicklungen im Parteienspektrum in Ostmitteleuropa.
Was ist links, was ist rechts?
Der Rechtsextremismus hat sich erneuert. Er ist nicht mehr nur platt fremdenfeindlich, sondern bedient sich auch linker Denkfiguren, die ins Gegenteil verkehrt werden. Das klingt dann so: wenn Migranten ein Recht auf Verschiedenheit für sich beanspruchen dürfen, warum dann nicht auch ganze Nationen? Jede Kultur könne doch dort gedeihen, wo sie ursprünglich herkommt. Zudem vernetze sich die radikale Rechte vermehrt international und wird von den verschiedensten Akteuren und Inhalten geprägt.
Welch schreckliche Konsequenzen diese dezentrale, aber internationalisierte Ausrichtung des Rechtsextremismus hat, zeigte der Filmabend „Propaganda. Hass. Mord. Die Geschichte des rechten Terrors in Europa“. Autor Rainer Fromm dokumentierte in 45 Minuten etwa 200 rechtsextreme Morde in Europa und zieht darin das Fazit: „Die rechte Gewalt wurde seit dem Ende der 1960er-Jahre massiv unterschätzt. Jeder, der genau hingehört hat, wusste, dass es einen gut organisierten Untergrund gibt, der alte Ideen der NSDAP umsetzen wollte.“ Allein einige Schlagworte, die mit rechtsextremem Gedankengut und Terror in Deutschland zusammenhängen, sprechen für sich: Wehrsportgruppe Hoffmann, Attentat auf das Oktoberfest, Anschläge in Rostock, Solingen und Mölln bis hin zum NSU. Man mag sich damit trösten, dass Fromms Film nur einen winzigen Bruchteil der europäischen Gesellschaft darstellt.
Zur Entwicklung rechtsextremer Ideologien
Entstehung, Position und Wirkung der Neuen Rechten – eine Sammelbezeichnung für rechtsextremistische Intellektuelle – beschrieb Professor Armin Pfahl-Traughber von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Dabei lassen sich zwei Richtungen unterscheiden: eine fundamentale, in der Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates offen abgelehnt werden, wie in der NPD; und eine gemäßigte, die sich in den öffentlichen Diskurs einbringen möchte. So werden in der Wochenzeitung Junge Freiheit aktuelle und grundsätzliche politische Fragen im Sinne autoritärer Konzepte diskutiert: dem pluralistischen Demokratieverständnis der Bundesrepublik wird ein identitäres gegenübergestellt, dem individualistischen Gesellschaftsmodell ein gemeinschaftliches, dem republikanischen Staatsverständnis ein nationalistisches.
Bisher, konstatiert Pfahl-Traughber, war man wenig erfolgreich mit ihrem Versuch, die Abgrenzung von demokratischen und undemokratischen Ultrakonservativen aufzuweichen. Der Experte für politische Ideengeschichte meint: „Die angestrebte kulturelle Hegemonie kann die Neue Rechte nicht einmal in Ansätzen beanspruchen. Weder gelang die Erstellung eines programmatischen Werkes, noch geht die intellektuelle Vernetzung mit dem Ausland über lockere Kontakte hinaus.“
Was Wählerstimmen bringt
Doch wer benötigt schon kulturelle Hegemonie, wenn Wählerstimmen genügen? Rechtsradikale Parteien in ganz Europa nutzen die Unsicherheit der Bevölkerung aus und punkten mit Sozialpopulismus und programmatischer Beliebigkeit, erklärte Werner T. Bauer von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und -entwicklung. So wettert man gegen den bürokratischen Parteienstaat und gegen die EU, gibt sich marktradikal und umweltbesorgt, wertkonservativ oder gar linkspopulistisch, engagiert sich für Familien und gegen Masseneinwanderung. Auf diese Weise wird man wählbar, meint Bauer und sagt voraus: „Wir müssen mit einer Fülle von rechtspopulistischen Strömungen rechnen. In Deutschland sind Sie noch in der komfortablen Lage, sich mit keiner erfolgreichen Partei dieser Art auseinandersetzen zu müssen.“
Zuletzt wurde die rechtsradikale Vernetzung genauer betrachtet: Die Musikszene zum Beispiel agiert längst über alle Grenzen hinweg, es gibt internationale Konzertreihen, Alben deutscher Rechtsrockbands werden im Ausland produziert und verkauft, man ist ein Teil der europäischen Jugendkultur geworden. Gerade Konzerte sind dabei ein guter Umschlagplatz für Devotionalien aller Art - mit dem Handel alter und neuer Nazisymbolik sowie Modemarken werden Millionen umgesetzt. Logistik, Organisation und Kommunikation funktionieren dabei - wen wundert's - meist online. Das Internet spielt mittlerweile eine zentrale Rolle bei der Internationalisierung des Rechtsextremismus.
Auf dem Podium waren weiterhin Vertreter von: Argumente und Kultur gegen rechts (Bielefeld), a.i.d.a. (Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München) sowie der Amadeu Antonio Stiftung (Berlin).
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