Orient und Okzident

Ein gespaltenes Verhältnis?

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 17.09.2013

Von: Miriam Zerbel und Katharina Keil

# Naher und Mittlerer Osten

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Yalla Arabi! Ein Kulturabend in der APB Tutzing

Die kulturellen Beziehungen zwischen dem Morgenland und dem Abendland sind jahrhundertealt. Kluge Köpfe des Westens und des Ostens haben sich gegenseitig inspiriert. Und das nicht erst seit Goethes „west-östlichem Diwan“. Zugleich gibt es die These vom „Kampf der Kulturen“.

Diese Tagung haben sich die Besucher unserer Facebook-Seite gewünscht. Die Frage nach dem Verhältnis von Abend- und Morgenland interessierte die meisten Gäste unserer Facebook-Seite im vergangenen Jahr. Vom 13. bis 15 September beschäftigten sich deshalb die Teilnehmer unserer Tagung in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung mit den Antworten.

Der Orient?

Bis heute prägen kontroverse Diskussionen die Debatte. Das wurde auch im Vortrag von Professor Udo Steinbach deutlich, der an der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin lehrt. Die Beziehungen zwischen dem Okzident und der islamischen Welt seien schon allein deshalb schwierig zu beschreiben, so Steinbach, weil es weder den Okzident als geschlossenen Block gebe, noch eine Einheit der islamischen Welt. „Es gibt keine Fixpunkte, an denen wir die Thematik festmachen können“, sagte der Wissenschaftler.

Ideologisierung des Islam

Nach einem kurzen historischen Abriss über das Aufeinandertreffen beider Kulturen im politischen Raum nach den Türkenkriegen und dem gegenseitigen geistigen Interesse, verwies er auf den Wendepunkt in der Geschichte. Nach Steinbachs Worten geht für den Westen in den 1960er Jahren die Faszination für die Muslime zu Ende. Er stellte eine Ideologisierung aus dem Islam heraus fest, die dazu führt, dass die Religion in die Politik reicht. „Der Westen wird zum Feindbild“, stellt Steinbach fest. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA steigern sich im Westen die Befürchtungen zur Phobie vor dem  Islam.

Der Ball liegt im Westen

Nach Steinbachs Ansicht muss nun der Westen die Initiative ergreifen, um ein nachhaltig friedliches Zusammenleben wieder möglich zu machen. „Der Ball liegt im Hof des Westens." Dazu müssten aber westliche Dominanz-Vorstellungen abgelegt werden. „Die westliche Welt muss glaubwürdig sein und nicht anders handeln als die eigenen Werte es fordern."

Zugleich forderte der Wissenschaftler die Wahrnehmung zu verändern, denn: die Zukunft Europas hänge davon ab, wie gut die Beziehungen zur arabischen Welt sind. In seinem Fazit folgt der Forscher Goethes Credo:

„Wer sich selbst und andere kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.“

Der Islam sei Teil der Gesellschaft. „Wir müssen uns jetzt fragen: Wie kommen wir  von Islam-Gegnern wie dem niederländischen Politiker Geerd Wilders zu Goethe?“

Kampf der Kulturen?

Der amerikanischen Politologe Samuel Huntington hat vor 20 Jahren die These vom Kampf der Kulturen aufgestellt. Sie besagt, dass nach dem Ende des Kalten Krieges Kulturen und nicht mehr Ideologien die Weltordnung bestimmen. Um neue Konflikte zu vermeiden, müsse die westliche Welt auch andere als die eigenen kulturellen Wertvorstellungen zulassen. Eine These, die Professorin Simone Dietz von der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf kritisch hinterfragte.

Unwissenschaftliches Niveau

Die Philosophin warf Huntington Unwissenschaftlichkeit vor: schwammige Begrifflichkeiten, mangelnde empirische Belege und die heterogene Einteilung der Welt in sieben oder acht Kulturkreise. Während in manchen Globalisierungsdebatten ebenso wie von Huntington die Auffassung vertreten wird, dass die Nationalstaaten an Einfluss verlieren, stehen dafür verschiedene Ursachen im Fokus: bei Huntington ist es die Kultur, in der Globalisierungsdiskussion sind es ökonomische Faktoren. Dietz verwies darauf, dass angesichts der Massenmedien ehemals  verschiedene Kulturen immer uniformer werden, was Huntington die Grundlage seiner These entzieht. „Huntington geht davon aus, dass Kulturen in sich geschlossene Gebilde sind. Das finde ich problematisch."

Es fehlt die Suche nach universellen Normen

Nicht nachvollziehbar ist in Dietz Augen auch die nicht eindeutig definierte Begrifflichkeit von Kultur. So hat Huntington zu den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärt, das sei kein „Kampf der Kulturen“, sondern ein Akt der Barbarei. „Der islamische Fundamentalismus ist auch Ausdruck einer Kultur, selbst, wenn sie in der islamischen Welt eine Minderheitenposition darstellt“, so Dietz.

Dennoch stimmt die Wissenschaftlerin dem Politologen in Teilen zu: „Huntington sieht zurecht die Kultur als einen Faktor der Weltpolitik.“ Die Balkan-Konflikte der 1990er Jahre seien Beispiele dafür. Zugleich macht sie deutlich, dass sie ein Ergänzungsverhältnis sieht zwischen Kultur und Politik.

Einem echten Dialog der Kulturen versperre sich Huntington jedoch. Er fordere zwar die Suche nach gemeinsamen Werten, nicht aber nach universellen Normen. „Jeder muss aber wissen“, gab Dietz zu bedenken, „dass er nicht im alleinigen Besitz der Wahrheit ist.“

Arabischer Kulturabend

Wie vielfältig die Kulturen sind, konnten die Teilnehmer während des Kulturabends in der Akademie erleben. Yalla Arabi, ein Verein zur Förderung arabischer Sprache und Kultur, hatte nicht nur eine Ausstellung über den „Aufstand der Frauen in der arabischen Welt“ auf die Beine gestellt.

Präsentiert wurden auch arabische Instrumentalmusik, Chor und Gesang - unter Beteiligung des Publikums.

Erfahrungen vor Ort

Einen stark von persönlichen Erfahrungen gefärbten Blick warfen am Tag nach dem Sing- und Tanzvergnügen schließlich zwei renommierte Journalisten auf das Thema. Klaus Kastan vom Bayerischen Rundfunk und Martin Durm vom Südwestrundfunk sind beide als Auslandskorrespondenten tätig. Kastan, ehemaliger Berichterstatter in Washington,  erläuterte das Verhältnis der amerikanischen Regierung zur  arabischen Welt seit den Anschlägen vom 11.September 2001. Dabei ging es auch um die Frage, wie US-Amerikaner seither den Islam einschätzen. Kastan erklärte: „Es ist nicht die Religion, die die USA seit dem Terrorangriff bekämpfen, sondern die Organisation Al Qaida.“

Schuldzuweisung an den Westen

Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Tunesien, Ägypten und Syrien berichtete Martin Durm von seinen Erfahrungen. Der Reporter lebte schon lange vor Beginn des Arabischen Frühlings in Kairo. „Die politischen Strukturen im Nahen Osten waren erstarrt", so Durm. Ägypten sei vor den Aufständen ein gastfreundliches Land gewesen. Diese Haltung habe sich seit Beginn der Revolutionen jedoch drastisch geändert, da man der westlichen Welt die Schuld für das Scheitern der Demokratie zuschiebe. Das Thema sei und bleibe komplex.


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