Humane Ökonomie verwirklichen
Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung an der APB Tutzing
Unser Tagungsleiter Dr. Wolfgang Quaisser zusammen mit Imke Schmidt und Prof. Dr. Ludger Heidbrink - unsere beiden Gäste sprachen zum Thema: "Verantwortung und globaler Kapitalismus - Welche Verantwortung tragen wir Konsumenten?" (Foto: Haas)
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 25.06.2012
Von: Sebastian Haas
# Wirtschaft, Ökologie und Nachhaltigkeit, Globalisierung
Sind wir mitverantwortlich dafür, dass weltweit Milliarden von Menschen in bitterer Armut, Unterernährung und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen leben? Dass in vielen Schwellenländern der Wirtschaftsaufschwung mit Vetternwirtschaft, Korruption und Umweltzerstörung einhergeht? Experten diskutierten an der Akademie für Politische Bildung Tutzing über internationale Standards für eine humane Ökonomie.
Der Global Compact der Vereinten Nationen will Unternehmen auf Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeit verpflichten. Beim 8. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung am 22. und 23. Juni 2012 haben wir zentrale Aspekte der Strategie aufgegriffen.
Der Global Impact als (un)realistische Strategie
6970 Unternehmen – von den Riesen bis zu 3-Mann-Betrieben – aus 135 Nationen sind im Juni 2012 am Global Compact beteiligt. Davon geben fast drei Viertel zu, dass sie noch lernen, wie sie die geforderten Prinzipien umsetzen sollen, erklärte Julia Roloff, Professorin an der Business School ESC Rennes. Vor allem in Sachen Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung gibt es Nachholbedarf – und das bei den Teilnehmern des Programms. Überhaupt trägt der Global Compact noch heute die Züge eines großen Experiments:
- die Verpflichtung ist freiwillig
- das Programm finanziert sich über Spenden
- der Beitritt läuft über einen Brief an den UN-Generalsekretär
- die Überwachung der Vorgaben liegt letzten Endes bei der Zivilgesellschaft
- in die Öffentlichkeit gelangen Verstöße zum Beispiel über einen Blog
- bisher wurden 3578 Unternehmen wieder ausgeschlossen
Im Moment bewegt sich der Global Compact in die Richtung einer freiwilligen Exzellenzinitiative, in der die top performer vorangehen und die anderen mitziehen; die Kontrollen sollen strenger werden und bis zu 20.000 Teilnehmer rekrutiert werden.
Nachhaltigkeit als Voraussetzung einer menschenwürdigen Ökonomie
Franz Josef Radermacher ist bekannt geworden durch sein Eintreten für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft und sein Engagement für den Global Marshall Plan – also eine gerechtere Globalisierung. Die Grundsätze dieser Initiativen tauchten auch in den Gedanken auf, die der Ulmer Informatik-Professor in der Akademie für Politische Bildung Tutzing äußerte. Nachhaltigkeit ist für ihn erreicht, wenn ganz triviale Grundsätze verwirklicht werden:
- Das Ende von working poor, unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Lohnsklaverei – oder andersherum: Mindestlöhne und eine Grundsicherung an Nahrungsmitteln
- Wenn die Menge der Dollars nicht mehr darüber entscheidet, wie ein politischer Prozess endet
- Wenn nicht mehr um den globalen Wettbewerb gestritten wird, sondern um die Regeln dieses Wettbewerbs, die sich seit 30 Jahren nicht mehr geändert haben. Und so fragte Radermacher: „Wieso konnte das Prinzip der freien Märkte so dominant werden? Warum hat man die Ordnungsfunktion so vernachlässigt?“
Strategien für einen fairen Wettbewerb
Fairer Wettbewerb ist eher die Ausnahme als die Regel. Das sagt Caspar von Hauenschild, Vorstandsmitglied bei Transparency International. Seine Organisation hat sich die Bekämpfung von Korruption auf die Fahnen geschrieben und geht dabei auf staatlicher Ebene folgendermaßen vor:
- Ein Integritätspakt für gleiche Bedingungen bei Ausschreibungen – und hohe Strafen, wenn man sich nicht daran hält.
- Der alljährliche Korruptionsindex. „Der wird von allen wahrgenommen“, meint von Hauenschild und erzählt: „Einmal rief ein afrikanischer Despot persönlich bei uns an und erkundigte sich, wie viel es kosten würde, im Ranking besser platziert zu sein.“
- Der Kampf gegen Schattenfinanz-Plätze, in denen schwarze Konten lagern und Geld gewaschen wird.
- Dazu kommen Studien zu Bestechlichkeit, Parteienfinanzierung und Lobbyismus in einzelnen Ländern.
Ohne Transparenz, Rechenschaft und Integrität geht also nichts, vor allem nicht in den Unternehmen selbst. Von Hauenschild hofft darauf, dass von Korruption betroffene Betriebe aus ihren Fehlern lernen und später mit gutem Beispiel voran gehen. Der Schlüssel zu einem fairen Wettbewerb sei zu allererst gute Qualität – „denn dann hat man Bestechung gar nicht nötig.“
Multinationale Konzerne und ihre Kritiker
Es gibt maNGOs, biNGOs, goNGOs und quaNGOs, service-orientierte Nichtregierungs-Organisationen (NGO) wie das Rote Kreuz oder politische wie Greenpeace. Können sie zu einer menschenwürdigen Wirtschaftsordnung beitragen? Dr. Janina Curbach vom Institut für medizinische Soziologie der Universität Regenburg meint: Ja. Denn kritische Nichtregierungs-Organisationen
- Üben Druck auf Unternehmen aus, um höchstmögliche Sozial- und Umweltstandards einzuhalten
- Haben einen Vertrauensvorschuss bei den Bürgern
- Passen die Legitimationsgrundlagen von Unternehmen an in einem Prozess aus Kooperation (WWF und Krombacher) und Konfrontation (Greenpeace und Brent Spar, der Goldene Windbeutel von foodwatch, diverse Boykotte von CocaCola)
- Können politische Bürger weltweit vernetzen
Und nein, die NGOs haben auch mal keinen Einfluss auf die Ausrichtung der Wirtschaft. Denn: Skandale ziehen nicht immer; Unternehmen sind nun einmal keine Umweltverbände („man darf nicht zu viel von ihnen fordern“); und: wer legitimiert die NGOs zu ihrem Handeln?
Verantwortung und globaler Kapitalismus
Tragen auch wir Konsumenten Verantwortung? Professor Ludger Heidbrink und Imke Schmidt vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen meinen: wir tragen sie – für die soziale Gerechtigkeit, für die ökologische Verträglichkeit, für uns selbst. „Doch wir sind nur Moral- und Ethikrhetoriker. Wir handeln nicht danach“, meint Heidbrink und erklärte: nur vier bis acht Prozent der verkauften Güter gehören dem sozialen und ethischen Markt an. Viel zu selten fragen wir uns: was benötige ich wirklich? Wie viel Energie ist für dieses Produkt verwendet worden? Muss ich das wirklich schon entsorgen? Handlungsvorschläge gibt es viele, doch sie scheitern allzu oft:
- Wäsche mit niedriger Temperatur waschen, Radfahren, weniger Fleisch essen – das weiß eigentlich jeder, uns hindert die eigene Bequemlichkeit.
- Andere Konsumenten mitnehmen bei Stromwechelparties, carrotmobs oder slow food – dazu braucht es Überwindung.
- Neue Strukturen schaffen durch Solargenossenschaften, Radwegebau. Oder Unternehmen politisch beeinflussen – ist ein enormer Aufwand.
Unternehmen und ihre gesellschaftliche Mitverantwortung
Professor Michael Aßländer vom Internationalen Hochschulinstitut Zittau erklärte, wie groß die Spannbreite der Verantwortung von Unternehmen in einer Gesellschaft sein kann. Unternehmen brauchen in erster Linie Gewinne, ihr Engagement für die Gesellschaft ist normalerweise rein strategischer Natur. Es kann aber passieren, dass sie plötzlich bürgerliche Rechte (wie betriebliche Mitbestimmung) garantieren – weil sie zum Beispiel in ein Land expandieren, in dem die Regierung das nicht schafft. Meistens aber beschränken sich hiesige Betriebe auf die Unterstützung von Projekten vor Ort und ergänzen die Leistungen des Staates. Nicht genug? Mag sein. Doch bei allem, was darüber hinaus geht, muss man sich fragen: Wo ist die demokratische Legitimation eines Wirtschaftsunternehmens?
Das 8. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung fand vom 22. bis 24. Juni 2012 an der Akademie für Politische Bildung Tutzing statt. Wir haben es veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Universität Halle-Wittenberg und mit finanzieller Unterstützung der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung.
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