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„Wie ein Schiff ohne Ruder“

Tagung zu Globalen Wirtschaftskrisen


Sauernheimer-Quaisser-Waigel-Tichy

Sie diskutierten über die Gestaltungskraft der Politik in Wirtschaftskrisen: (v.l.) Der Wirtschaftswissenschaftler Karlhans Sauernheimer, Tagungsleiter Wolfgang Quaisser, der ehemalige Finanzminister Theo Waigel und Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche. (Foto: Haas)


Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 27.03.2011

Von: Sebastian Haas

# Wirtschaft


In Brüssel versuchen die Regierungschefs der Europäischen Union den Euro zu retten. Wir diskutieren, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Zwar wurden im Zuge der Weltfinanzkrise Banken gerettet und Konjunkturprogramme aufgelegt – aber um den Preis einer dramatischen Staatsverschuldung und der Euro-Krise. Kann Politik auf ökonomische Prozesse einwirken, kann sie die Wirtschaft überhaupt verstehen?

Diesen Fragen widmete sich zum Auftakt unserer Tagung kein Geringerer als Norbert Walter. Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank hatte zu Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise einen Einbruch des deutschen Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent vorhergesagt, wurde als Schwarzmaler bezeichnet, hatte aber Recht. Auch bei seinem Vortrag „Finanz- und Wirtschaftskrise: Markt- oder Staatsversagen?“ sparte er nicht an deutlichen Worten – wenn er auch zugab: „Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, wer nun versagt hat.“

Die Abkehr von Grundprinzipien, die schon vor Jahrhunderten Adam Smith predigte, habe erst zur Schieflage der Weltwirtschaft geführt. Die Einhegung des Egoismus durch Ethik, Regulierung und Wettbewerb sei seit den 1970er-Jahren sträflich vernachlässigt worden. Gültig war das wirtschaftspolitische Konzept des Monetarismus, das die Märkte weitab von politischer Einmischung wirken ließ. „Doch ein Markt existiert nur, wenn er auch wirklich veranstaltet wird“, sagte Walter, „dramatische Existenzbedrohungen können eben nur durch den Staat abgewendet werden, ob er nun will oder nicht.“

Die nächste Krise? Kommt bestimmt

Unser Währungs- und Wirtschaftssystem wurde gerettet durch das umsichtige Handeln der Zentralbanken und durch die Stimulierungspolitik der Staaten. Es sei nun an der Zeit, sich von dieser Stimulierungspolitik zu verabschieden, meint der ehemalige Chefvolkswirt: „Wir haben in Europa wieder Wachstumsraten von gut vier Prozent, aber eine Geld- und Finanzpolitik wie in schlimmsten Rezessionszeiten.“ Um diese Schieflage zu beseitigen und endlich überzeugende Antworten auf die große Krise zu finden sei eine gemeinsame europäische Finanzpolitik unbedingt nötig. Das bedeutet für Walter: Europa muss mit einer Stimme sprechen, in Europa müssen die besten Politiker handeln – und die europäischen Staaten müssen ihre Staatsfinanzen in den Griff bekommen und sich gleichsam von ihrer Subventionierungspolitik verabschieden. „Ansonsten treibt das Schiff weiter ohne Ruder durch den Ozean“, meint Norbert Walter und mahnte: Eine nächste Bankenkrise sei auch in Deutschland nicht ausgeschlossen.

Eine Schuldenkrise auch in Deutschland kann Thiess Büttner nicht ausschließen. Zwar konnte der Nürnberger Professor die anwesenden 90 Gäste beruhigen: „Wir sind kein Schuldenstaat, denn wir können die Anschlussfinanzierung unserer Schulden problemlos gewährleisten.“ Doch weil es in den Euroländern Griechenland, Irland und Portugal ganz anders aussieht und ernorme Rettungsschirme geschnürt werden müssen (vielleicht auch bald für Italien und Spanien), sei auch Deutschland gefährdet. Büttner plädiert daher für eine Umschuldung und einen Schuldenschnitt auf europäischer Ebene, statt Schritt für Schritt eine Transferunion auszubauen, in der gerade die Länder gefördert würden, die schlecht wirtschaften. Ähnlich denken auch die Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty und Karlhans Sauernheimer.

Hat die Politik noch Einfluss?

Das Große Podium unserer Tagung widmete sich der Frage, inwieweit die Politik in Zeiten internationaler Krisen noch Gestaltungskraft besitzt. Neben Karlhans Sauernheimer trafen sich Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, und Theo Waigel. In seinem nachdenklichen, mit persönlichen Anekdoten gespickten Statement fasste der ehemalige Finanzminister viele Punkte zusammen, die im Lauf der Tagung bereits angesprochen wurden. Seine Bemerkungen reichten von der „Vertrauenskrise der Finanzmärkte“ über Griechenland als „blinder Passagier der Währungsunion“ bis hin zur Stabilisierung eines ganzen Wirtschaftsraumes durch den Euro. Die Arbeit der Großen Koalition im Jahr 2009, die quasi über Nacht die Finanzmärkte stabilisieren musste, bewertet Waigel noch heute als kluge Lösung – mit einer Einschränkung: Man hätte gleich die Konsolidierung der europäischen Staatshaushalte ankündigen und durchsetzen müssen. Eines machte Theo Waigel unumwunden klar: An der Währungsunion führt kein Weg vorbei („Ich würde mich heute noch genauso entscheiden“), und sie muss bleiben. „Mit 20 europäischen Währungen könnten wir die aktuellen Krisen niemals lösen. Gestaltungschancen hat Deutschland nur durch multilaterale Lösungsansätze“, meint der ehemalige Finanzminister und gab seinen Nachfolgern in der Politik den Rat, sich auch mal zurückzunehmen: „Es gab schon immer Krisen, doch zu meinen aktiven Zeiten konnten wir auch mal den Mund halten.“

Mund halten und arbeiten – das hätte auch Roland Tichy gerne. Stattdessen erkennt er eine anhaltende Hysterie in Politik und Medien: „Man hetzt von einer Krise zur nächsten. Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Atomkrise, wer denkt denn heute noch an die Klimakrise?“ Der Chefredakteur der Wirtschaftswoche meint, dass gut organisierte Zivil- und Industriegesellschaften Krisen effektiv abmildern können; aber nur, wenn sie auch hinschauen. Mit Finanzwirtschaft hätten sich Medien, Politiker und Konjunkturforscher über Jahre nicht beschäftigen wollen. „Da ist eine europäische Nichtöffentlichkeit entstanden, für mich ist das eine intellektuelle Bankrotterklärung“, sagte Tichy. Innerhalb Deutschlands werde verantwortungslose Finanzpolitik (wie in Nordrhein-Westfalen) durch den Länderfinanzausgleich geradezu belohnt. Ein europäischer Umverteilungsstaat sei ebenso „organisierter Wahnsinn“. So müssen zum Beispiel selbst gut wirtschaftende Staaten wie die Slowakei für die Sünden Irlands aufkommen – obwohl sie einen deutlich niedrigeren Lebensstandard aufweisen. Die Vernunft scheint der europäischen Finanzpolitik also abhanden gekommen zu sein. Genau die aber braucht es nach Meinung von Karlhans Sauernheimer, um die jungen Generationen weiter vom Nutzen der „Selbstverständlichkeit Europa“ zu überzeugen.

Finanzkrisen und Wirtschaftspolitik in den USA analysierte Professor Moritz Schularick von der Freien Universität Berlin. Der Wirtschaftshistoriker hat verschiedene Krisen in den USA – im Schnitt gibt es seit 1870 alle 20 Jahre eine – analysiert und herausgefunden: Steigt die Zahl der Privatkredite stark an, werden also die Kreditsummen im Vergleich zur Wirtschaftsleistung immer höher (Finanzialisierung), dann wird auch eine Finanzkrise wahrscheinlicher. Vor dem Zweiten Weltkrieg hat man in diesen Krisen nicht agiert, die Folge war zumeist eine Deflation. Seit dem Zweiten Weltkrieg pumpt man im Fall einer Krise Unmengen neuen Geldes ins Finanzsystem, was einen starken Anstieg von Inflation und Staatsverschuldung zur Folge hat. Diese aktive Geld- und Fiskalpolitik hat Moritz Schularick in 14 Ländern der OECD nachgewiesen – und womöglich hat sie zu einem größeren Risiko im Weltwirtschaftssystem geführt.

In seinem Vortrag über geostrategische Folgen der Weltwirtschaftskrise zeigte sich Günter Schmid überzeugt, dass sich die Verschiebungen in der Ökonomie auch auf die weltweite Politik auswirken werden. „Die Weltwirtschaftskrise wird zur Weltordnungskrise, die Enteuropäisierung der Politik wird voranschreiten“, meint der Professor an der Fachhochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung.

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