Parlamente zwischen Macht und Ohnmacht

Symposion der Akademie an der Universität Passau

Passau / Tagungsbericht / Online seit: 02.04.2011

Von: Sebastian Haas

# Verfassungsfragen, Parlamente Parteien Partizipation

Papier-Hörster-Lammert-Schweitzer-Oberreuter

Akademiedirektor Heinrich Oberreuter (rechts) lud ein, und alle kamen. Im Senatssaal der Universität Passau haben sich zum Gruppenfoto außerdem versammelt: (v.l.) Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, MdB Joachim Hörster, Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Passauer Universitäts-Präsident Walter Schweitzer. (Foto: Haas)

Parlamente sind die Kerninstitutionen der Demokratie – und sie stehen unter Druck: Die Medien zwingen ihnen Kurzatmigkeit, Oberflächlichkeit und Themenverschleiß auf; Regierungen umgehen parlamentarische Prozeduren, wie das Beispiel An- und Abschalten der Kernkraftwerke zeigt; Kommissionen und Verbände beeinflussen Entscheidungen; der Ruf nach mehr Mitbestimmung durch die Bürger wird lauter. Wir diskutierten beim 10. Passauer Symposion zum Parlamentarismus die Lage, unter anderem mit Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Zugegeben: Norbert Lammert ist befangen. Er ist Präsident des Deutschen Bundestages und kämpft für mehr Akzeptanz der Politik in der Gesellschaft. Wenn ein solch ausdrucksstarker Mann zum Thema „Parlament und Partizipation in der Mediendemokratie“ redet, sind deutliche Worte zu erwarten. Lammert enttäuschte seine Zuhörer nicht und lieferte beinahe schon erschreckende Anmerkungen zu den Zusammenhängen zwischen Medien und Politik.

„Was ist bloß mit uns los?“ – dieser Leitsatz führte durch Lammerts Vortrag. Seiner Meinung nach verkommen Journalismus und Politik immer mehr zu einem System, das mehr und mehr von sich selbst lebt. In Berlin kommen beispielsweise auf 620 Bundestagsabgeordnete 8000 Journalisten und 2000 Interessenverbände. Genügend Akteure, um sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen und den Bezug zum Normalbürger zu verlieren. In den Fernseh-Talkshows treffen die immer gleichen „Unterhaltungsmatadoren“ aus der Politik zusammen, authentische Politik werde verdrängt durch die Simulation von Politik. Bilder, Schlagzeilen, Kürze und Unterhaltung dominierten die Berichterstattung; Analyse, Differenzierung, Information und gründliche Recherche kämen zu kurz. „Zu diesem Generaltrend des Mediensystems gibt es fast keine Ausnahme mehr“, meint Lammert.

Rote Rosen statt Debatten

Der zweite Mann im Staat leidet auch persönlich unter diesen Trends. Er erhält schon einmal selbst verfasste Artikel von renommierten Tageszeitungen zurück – mit der Anmerkung, sie seien zu differenziert und könnten deshalb nicht abgedruckt werden. Weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen lieber Adelshochzeiten statt Parlamentsdebatten zeige, eröffnet der Bundestagspräsident seine Sitzungen auch schon mit der Anmerkung: „Wir werden heute nicht im Fernsehen übertragen, da läuft Folge 1234 von Rote Rosen.“

Keine roten Rosen verteilte Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Die aktuelle „Gesetzgebung ohne Gesetzgeber“ stehe im krassen Widerspruch zur Interpretation der Verfassung durch die Gerichte – dort könnte nämlich die Stellung der Parlamente nicht bedeutsamer sein. Papier machte klar: „Es gibt keine bessere Alternative als unser aktuelles System. Manche Auswüchse, wie die Aushöhlung des Parlamentarismus auf Landesebene, müssen wir aber mit juristischen Mitteln bekämpfen.“ Die Gesetzgebung der Europäischen Union führe nämlich zu Bedeutungs- und Kompetenzverlusten der Landesparlamente, lediglich die jeweiligen Regierungen hätten noch Einflussmöglichkeiten über die Mitsprache im Bundesrat.

Werner Patzelt beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage: Woher kommt die Macht der Parlamente, und wie macht man Parlamente machtlos? Der Dresdner Professor bot einen Parforceritt durch die Geschichte, zeichnete die Entwicklung der Parlamente nach „von einer Institution zur Sicherung der Sparsamkeit der Regierungen zu einer Institution, die Füllhörner ausschütten will“ – und dabei zunehmend unglaubwürdig wird. Denn schließlich weiß jeder, dass Geld nicht unendlich vorhanden ist. Zumindest habe sich die Macht der freien Rede (und hier widerspricht der Politikwissenschaftler dem Bundestagspräsidenten) im Plenum erhalten. Denn da könne noch offengelegt werden, was in den Medien verschwiegen werden soll: seien es Details der Plagiatsaffäre zu Guttenberg oder die Präsenz der NPD, der man im sächsischen Landtag nicht einfach das Wort abschneiden könne.

Die Rädchen laufen zuverlässig

Suzanne Schüttemeyer von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg widmete sich der Frage, ob Abgeordnete noch Repräsentanten des Volkes sind oder nur ein kleiner Teil eines kaum noch zu überblickenden Ganzen. „Natürlich sind Parlamentarier ein Rädchen im Getriebe. Das müssen sie auch sein“, meint Schüttemeyer. Ansprechbarkeit für die Bürger im Wahlkreis sei eben nur ein Teil der Medaille, der andere sei die Teilnahme am parlamentarischen Willensbildungsprozess. Dieser findet zumeist in Berlin statt, in unzähligen Ausschüssen, die von tausenden Mitarbeitern mit Informationen beliefert werden. Die Abgeordneten stecken mittendrin und Schüttemeyer betont: Sie machen ihre Aufgaben im Großen und Ganzen gut. Das müsse eben besser an die Öffentlichkeit vermittelt werden.

Der Nachmittag des zweiten Tages stand ganz im Zeichen aktueller Entwicklungen im Ausland. Professor Roland Sturm (Erlangen-Nürnberg) blickte nach England und stellte fest: das Westminster-Modell lässt viel mehr Teilhabe durch Opposition und Bürger zu, als wir von Außen den Eindruck haben. Ähnliches diagnostizierte Stefan Köppl von der Akademie für Politische Bildung für Italien. Die Politik dort habe viel mehr zu bilden als Berlusconi und Bunga-Bunga: nämlich ein intensiv gepflegtes, wenn auch turbulentes Parlaments- und Parteileben. Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hielt einen pointierten und diskussionswürdigen Vortrag. Denn seine finale These lautet: In den USA ist die einzige handlungsfähige Institution die Notenbank. Ellen Bos, die an der Universität in Budapest lehrt, informierte über die Machtprozesse in den Transformationsstaaten Ostmitteleuropas – von der Ukraine („wo man mit Politik seine Geschäfte macht“), bis Ungarn („das seit 2006 nicht mehr als Musterbeispiel demokratischer Entwicklung gelten kann“).

Das 10. Passauer Symposion zum Parlamentarismus wurde am 31. März und 1. April 2011 von der Akademie für Politische Bildung Tutzing in Zusammenarbeit mit der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e.V. und der Universität Passau veranstaltet.


Weitere Informationen

Die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Nachlesen


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