Deutsch ins Grundgesetz?

Tagung „Deutsch in der Wissenschaft“

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.01.2011

Von: Sebastian Haas

# Verfassungsfragen, Bildung und Wissenschaft

Oberreuter-Meyer-Lammert-Ehlich

Sie luden zur Tagung "Deutsch in der Wissenschaft" nach Tutzing, und der Bundestagspräsident kam: (v.l.) Akademiedirektor Heinrich Oberreuter, Hans Joachim Meyer, Norbert Lammert und Konrad Ehlich. (Foto: Haas)

Führende Köpfe aus Politik und Wissenschaft geben sich ein Stelldichein in der Akademie für Politische Bildung. Sie diskutieren über die Zukunft der deutschen Sprache in Forschung und Lehre. Die Tagung eröffnete Bundestagspräsident Norbert Lammert (Foto) mit einem Vortrag über „Sprache. Und Politik“. Darin forderte er in einer gewohnt frei gehaltenen, eigenen und eigenwilligen Rede, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern.

„Kaum eine Verfassungsänderung – und es gab 58 davon – könnte es in ihrer Bedeutung mit der Aufnahme der deutschen Sprache in das Grundgesetz aufnehmen“, erklärte Lammert. „Wenn die Politik mitverantwortlich sein will für die Förderung der Sprache des Landes, muss sie das im Grundgesetz klarstellen.“ Deutsch als Landessprache ist Bestandteil der Verfassungen Österreichs und der Schweiz. Die Parteien könnten sich an diesem Beispiel orientieren und so die gesamte Gesellschaft stabilisieren. Ein Zeichen fehlenden Selbstbewusstseins sei die Aufnahme der Landessprache Deutsch ins Grundgesetz jedenfalls nicht.

Was den Schutz und die Pflege der deutschen Sprache in der Europäischen Union angeht – dort gelten 23 Amtssprachen, die Geschäftssprachen Englisch, Französisch und nur unter ferner liefen auch Deutsch – so hofft Lammert „auf eine ähnliche Hartnäckigkeit unserer Politiker wie die der französischen“. Er meint damit: Sollten EU-Gesetze dem Bundestag nicht in deutscher Sprache vorliegen, könne man deren Behandlung auch einmal aussetzen. Geschehen war das bereits bei der Ratifikation der Beitrittsunterlagen für Bulgarien und Rumänien mit der Begründung, die Politiker könnten solch komplexe Sachverhalte nur in ihrer eigenen Muttersprache verstehen.

Lammert geht es nicht darum, die Vielsprachigkeit einzugrenzen – vielmehr möchte er die Statusminderung der deutschen Sprache aufhalten. Dabei nimmt der Bundestagspräsidenten auch die Wissenschaft in die Pflicht, wenn er sagt: „Nicht jeder Forscher spricht und versteht fließend Englisch, und publiziert trotzdem in vorauseilendem Gehorsam in der Fremdsprache. Dabei geht eine Menge Präzision verloren und lediglich ein basic english bleibt zur Verständigung zurück. Diese Selbstabdankung der geistigen Elite zu korrigieren halte ich für sehr wünschenswert. Denn wer soll sich um die eigene Sprache kümmern, wenn nicht wir?“

Die Anregungen des Bundestagspräsidenten fanden sich auch in der Podiumsdiskussion am folgenden Tag wieder. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) machte deutlich: Es sei nicht nötig, Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Verwendung der Sprache sei rechtlich klar geregelt, auch wenn man in der praktischen Politik – vor allem der europäischen – täglich um sie kämpfen müsse. Gesetzesvorlagen nicht zu bearbeiten, wenn sie nicht in der Landessprache vorgelegt werden, hält sie zwar im Bundestag für möglich, in einem Ministerium aber nicht: „Denn gerade hier müssen wir schnell reagieren“, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger.

Über den Zusammenhang von Sprache und Kultur sprach Monika Grütters (CDU). Das Staatsziel Kultur und die Landessprache Deutsch ins Grundgesetz aufzunehmen sei weit mehr als „ein Verfassungsschnörkel“. Mehrsprachigkeit sei auf der anderen Seite das „Gegengift“ gegen nationales Schubladendenken. Die Vorsitzende des Kultur- und Medienausschusses im Deutschen Bundestag plädiert dafür, in Kultur und Wissenschaft keine Sprachflucht zu betreiben. „Da haben wir Einiges zu verlieren“, sagte Grütters und erinnerte an die Vorreiterrolle deutscher Forschung in den Bereichen Philosophie, Jura oder Kunstgeschichte. Antje Vollmer von den Grünen, ehemals Vizepräsidentin des Bundestages, erwartet in diesem Zusammenhang konkrete Forderungen aus der Wissenschaft, um die Zukunft der Sprache in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) machte auf einen krassen Widerspruch aufmerksam: „Einerseits verachtet die Wissenschaft geradezu unsere Sprache, andererseits redet die Politik ständig von der Notwendigkeit, Deutsch zu lernen. Das ist keine Einladung zu einer funktionierenden Integration.“ Internationalität in der Wissenschaft bedeute nicht Einsprachigkeit auf Englisch, sondern intensiven Austausch, egal in welcher Sprache. Für Thierse soll das auch praktische Folgen haben, denn er fordert: „Wo unsere Steuergelder zum Beispiel für die Forschung verwendet werden, sollten die Anträge auch nur noch in deutscher Sprache eingereicht werden.“ Außerdem plädiert der Bundestags-Vize dafür, die Sprachpolitik nicht weiter zu tabuisieren. Denn sie findet trotz allem Gerede von „Zwangsgermanisierung“ ständig statt – auch in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Die Tagung  „Deutsch in der Wissenschaft“ wurde vom 10. bis 12. Januar gemeinsam mit der Volkswagenstiftung veranstaltet.


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