Die neue Bürgerlichkeit

Tagung „Herausforderung Rechtsextremismus“

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 04.12.2010

Von: Sebastian Haas

# Gesellschaftlicher Wandel, Bayern, Populismus und Extremismus

Schwarzmeier-Rammelsberger-Rudel

Begrüßten SZ-Redakteurin Annette Ramelsberger in Tutzing: Die Tagungsleiter Manfred Schwarzmeier (links) von der Akademie für Politische Bildung und Gerd Rudel von der Petra-Kelly-Stiftung (Foto: Haas).

Rechtsextreme Parteien haben der konkreten Politik nichts zu bieten. Auf parlamentarischer Ebene konnten sie deshalb in der jüngsten Vergangenheit kaum Erfolge erzielen. Gleichzeitig aber fassen rechtsextreme Gruppierungen auf ihrem Feldzug für „national befreite Gebiete“ auch in Bayern Fuß: bei Aufmärschen in Gräfenberg und beim NPD-Parteitag in Bamberg; aber auch außerhalb der großen Öffentlichkeit: bei Immobilienkäufen für Schulungszwecke oder „ganz normal“ im Sportverein.

Eine Tagung in Zusammenarbeit mit der Petra-Kelly-Stiftung sollte ermutigen, Gesicht zu zeigen gegen Rechts. Auf der Tagesordnung standen aktuelle Tendenzen im rechtsextremen Spektrum, Ansätze für erfolgreiche Gegenstrategien und Fragen wie: Wie sehen „moderne“ Nazis aus? Welche Rolle spielen Frauen in der Szene? Wie kann man aussteigen?

Rechtsextremistische Erscheinungsbilder im Wandel:
Das Beispiel Bayern

Annette Ramelsberger, die Leiterin der Bayernredaktion der Süddeutschen Zeitung, ist eine ruhige, freundliche, zurückhaltend wirkende Frau. Doch sie wird zu einer unbequemen Journalistin, wenn es um den Rechtsextremismus geht. Seit 20 Jahren berichtet sie immer wieder über dieses Thema, „auch wenn es mich und meine Leser manchmal anstrengt. Doch Demokratie ist eben ein anstrengendes Geschäft.“ Dass in vielen Teilen Bayerns die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus immer anstrengender wird, erklärte Ramelsberger anhand vieler Beispiele.

Beispiel Fürth: Hier wohnt Familie Brenner, die aus der rechten Szene drangsaliert und verunglimpft wird. Bei einer Demonstration gegen die Aufmärsche in Gräfenberg wurden die Kinder der Familie – gemeinsam mit vielen anderen – fotografiert. In einschlägigen Internetforen veröffentlichte man Name und Adresse und kündigte „nächtliche Hausbesuche“ an. Haus und Auto von Familie Brenner wurden wieder und wieder neu beschmutzt.

Beispiel Aßling: Erst als bei einer Bürgerversammlung der Nationale Widerstand auftauchte und von rechtsradikalen Bands im Jugendzentrum berichtet wurde, sah der Bürgermeister ein: Wir haben ein Problem.
Beispiel Weiden: Dort wurde der NPD-Bezirksverband wieder gegründet. Die Aktiven haben nach außen nichts gemeinsam mit Schlägertrupps, wie Annette Ramelsberger erklärt: „Sie tragen schicke Kleidung, auch mal ein Palästinensertuch oder haben lange Haare. Diese neue Bürgerlichkeit ist Teil der Strategie, sich möglichst volksnah zu geben.“

Beispiel Gräfenberg: Während die Gemeinde ihren Friedenspreis feiert, den sie für ihr langjähriges Engagement gegen rechte Aufmärsche erhielt, marschiert die NPD wieder durch den Ort. Das Landratsamt hatte die Genehmigung dazu erteilt. In Landshut warten die Bürger seit Monaten auf eine Genehmigung für einen Marsch gegen rechts. „Können wir von Amts wegen nicht mehr tun?“, fragte Ramelsberger und gab anhand eines nächsten Beispiels die Antwort.

Beispiel Passau: Erinnern Sie sich noch an den Fall Mannichl? Der ehemalige Passauer Polizeichef wurde an seiner Haustür niedergestochen. Lange ging man von einem Täter aus der rechtsradikalen Szene aus, Ministerpräsident und Innenminister kamen an Mannichls Krankenbett und schwangen große Reden gegen Rechtsradikale. Den Täter hat man bisher nicht gefasst. „Seitdem sind Politik und Verwaltung sehr vorsichtig geworden. Ein NPD-Verbot zum Beispiel ist kein Thema mehr“, erklärte Annette Ramelsberger besorgt.

Widerstand vom Amts wegen

Doch es geht auch anders. Beispiel Passau: Hier hat man durch jahrelange Prozesse gegen die NPD und die DVU deren Parteitage in der Nibelungenhalle erschwert. Mittlerweile ist die Halle abgerissen, und die Parteien kommen nicht mehr in die Dreiflüssestadt. „Und der Bürgermeister von Wunsiedel macht schon einmal selbst bei einer Sitzblockade mit“, berichtete Annette Ramelsberger, um aber zu ergänzen: „Wenn ich begeistert darüber in unserer Zeitung schreibe, erhalte ich danach Zuschriften, die mich dafür kritisieren, dass ich Ordnungswidrigkeiten gutheiße.“

Beispiel München: Hier agitiert die Bürgerinitiative Ausländerstopp. Die Tarnorganisation der NPD wendet sich „gegen Überfremdung und Multikulti“ und stellt mit Karl Richter sogar einen Stadtrat. Der bringt allerlei intelligent formulierte Anträgen ein, zum Beispiel für einen „Platz für ein freies Opfergedenken“, um nicht immer nur in „reiner Selbstanklage“ an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Die Stadtverwaltung hat sich auf die Anfragen eingestellt, betreibt seit Jahren ein Katz-und-Maus-Spiel und beantwortet die Fragen möglichst inhaltsleer.

National befreite Zonen:
Ein analytischer Streifzug

Die Hamburger Journalistin Andrea Röpke ist eine der Kennerinnen der rechtsextremen Szene. Bereits 1995 hatte sie sich mit einem Fotografen des „Stern“ für eine Woche in ein SS-Erinnerungscamp eingeschmuggelt. Mittlerweile recherchiert und berichtet sie offen über Rechtsradikale. Das hat ihr bei Veranstaltungen der NPD bereits ein Hausverbot eingebracht, da sie als „nicht resozialisierbar“ gilt. In ihrem Vortrag erklärte sie das Konzept der national befreiten Zonen.

Diese sind zwar ein theoretisches Konstrukt - doch Neonazis möchten sie gern Realität werden lassen; zum Beispiel in Orten wie Jamel bei Wismar („Volksgemeinschaft Jamel: frei, sozial, national“), wo Wegweiser die Entfernung nach Braunau, Hitlers Geburtsort, zeigen. Wie Andrea Röpke informierte, plädieren Präventionsexperten und Opferberater inzwischen dafür, den Begriff "national befreite Zone" durch Kennzeichnungen wie "No Go Area" oder "Angstzonen" zu ersetzen.

Das Ziel dieser Zonen ist schnell erklärt: Man baut eigene Wirtschaftskreisläufe, eine Selbstverwaltung und eine nationale Gemeinschaft auf. In bereits existierenden Kommunen geht es darum, nachhaltig Akzeptanz aufzubauen. Neonazi-Strategen haben das Konzept daher auch durch Begrifflichkeiten wie Kommunalpolitische Verankerung, Bürgernähe, Ansiedlungskonzepte oder nationale Wirtschaftsnetzwerke ersetzt.

Zwar ist es nicht im Sinne der Rechtsextremen, in nicht-öffentlichen Ausschüssen das Klein-Klein der Kommunalpolitik zu diskutieren – doch für jede Teilnahme an Wahlen und für jede erhaltene Stimme gibt es Steuergelder. Damit kann dann die „nationale Graswurzelarbeit“ finanziert werden: Raus aus den Hinterzimmern, rein in die Sportvereine, hin zur Blutspende und zur Freiwilligen Feuerwehr.

In Lübtheen an der Elbe zum Beispiel, wo die NPD bei der letzten Wahl 16 Prozent der Stimmen gewann, veranstaltet man Bürgerfeste; und die Bewohner denken sich: „Da kann man doch mal hingehen.“ In Grevesmühlen – nur wenige Kilometer vom bereits angesprochenen Jamel entfernt – konnte man ohne Proteste der Öffentlichkeit ein NPD-Bürgerbüro aufbauen (das sogenannte „Thing-Haus“) und veranstaltet dort Kinderfeste. Deutschlandweit baut man eine nationale Gegenkultur auf, die dann aus Erntefesten und Volkstanz, heidnischen Bräuchen und Heldengedenken besteht. In diesem Jahr feierten Rechtsextreme beispielsweise die Varusschlacht als 2000 Jahre deutscher Freiheitskampf. „Solche Kultfeste sind mittlerweile wichtiger geworden als die Demonstrationen, sie stabilisieren die ganze Bewegung“, sagt Andrea Röpke. Wo sich die Zivilgesellschaft zurückziehe, könnten Neonazis eben leichter Fuß fassen.

Rechte Kämpferinnen und blonde Biederfrauen:
Zur Rolle der Frauen im Rechtsextremismus

Eine Umfrage des Instituts emnid hat 2007 ergeben: 14 Prozent der weiblichen Bevölkerung hierzulande kann sich vorstellen, rechts von CDU und CSU zu wählen. Das ist ein enormes Potenzial für rechte Gruppierungen. Da verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren vermehrt Frauen in der rechtsextremen Szene aktiv wurden. Die Gründe dafür erklärte Juliane Lang vom Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus in Berlin.

Das Potenzial, rechtsextremen Einstellungen nachzueifern, ist bei Männern wie Frauen gleich groß. Dass man aber nicht sofort das Bild einer nationalen Kämpferin vor Augen hat, scheint logisch: Das Gefahrenpotenzial von Frauen wird übersehen, man begegnet ihnen sanfter, alle Gewalt scheint weit weg und damit auch die Nähe zum Rechtsextremismus. Genau diesen Bonus nutzen rechtsextreme Frauen: Sie betreiben Cafés und Läden, sie spielen Kindertheater und arbeiten als Erzieherinnen, auf ihren Kundgebungen fotografieren sie unauffällig die Gegendemonstranten – wenn sie nicht in den ersten Reihen mitmarschieren, um der rechtsradikalen Bewegung ein adrettes, meist blondes, langbezopftes Gesicht zu geben.

Die Rolle der Frau ändert sich nicht

Mehr Frauen in der Szene bedeuten natürlich mehr Familien, mehr „völkische Sippen“ und somit eine Stärkung der Szene. Und sie bedeuten auch eine neue Agenda: Bildung, Kultur und Brauchtum, Gesundheit, Mutterschaft und Demografie sind Themen, die den nationalistischen Frauen quasi naturgegeben zufallen. Diese behandeln sie in Organisationen, die so harmlose Namen tragen wie Mädelring, Madelschar, weiße Mädels, Ersthelferinnen, Aktive Frauen Fraktion oder Mädelkameradschaft. Juliane Lang berichtete anschaulich von der Arbeit dieser Organisationen, aber auch von den Streitigkeiten in und zwischen ihnen: Die einen wollen lediglich innerhalb der Szene wirken, die anderen auch nach außen sichtbar sein; die einen betrachten die Frau als aktive Mitgestalterin des öffentlichen Lebens, die anderen sehen in ihr weiterhin allein die Hüterin der Familie. Letztere scheinen die Oberhand zu behalten, meint Juliane Lang: „Auch wenn es Tendenzen gibt, die an eine Aufweichung bestehender Rollenbilder denken lassen: Die Ungleichheit der Geschlechter, Sexismus und Chauvinismus bleiben ein integraler Bestandteil der rechtsextremen Ordnung.


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