„Wissen, was 'drüben' ist"

Zur Geschichte der DDR-Forschung in der Akademie

Januar 1959




Das Studium der DDR stand von Anfang an auf der Agenda der Akademie. Damit wandte sie sich gegen den vorherrschenden Trend der Zeit.

Die Feierlichkeiten zum 26. Jahrestag der Deutschen Einheit sind noch nicht verklungen, der Zustand des politisch-kulturellen Zusammenwachsens ist frisch bilanziert, und gleichzeitig entschwindet die DDR-Vergangenheit immer mehr dem kollektiven Gedächtnis. Das Bild der einstigen DDR verschwimmt – von Mythen, Deutungsansprüchen, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik zusätzlich verklärt und verschleiert. Im Westen nichts Neues, so möchte man Erich Maria Remarque bemühen: Denn auch in den 1960er Jahren gehörten fundierte Kenntnisse über die offizielle Verfasstheit und den realsozialistischen Alltag im östlichen Teil Deutschlands beileibe nicht zu den Selbstverständlichkeiten der westdeutschen Bevölkerung. Wer wusste schon Genaueres über die politischen und sozialen Lebensbedingungen jenseits der Mauer, über Menschenbild, Gesellschaftsmodell und Staatsstruktur in Abwesenheit von Freiheit, Rechtsstaat und Pluralismus, über das ganze Ausmaß des totalitären Herrschaftsanspruchs der SED, das mörderische Grenzregime und die desaströse zentrale Planwirtschaft?

Die SBZ oder später die DDR drohte ein weißer Fleck auf der politischen Landkarte der Westdeutschen zu werden und zu bleiben. Eher zaghaft gingen Wissenschaft und Publizistik daran, sich mit dem DDR-System und der Lebensrealität seiner Bürger intensiver zu beschäftigen.

Bildung für DDR-Flüchtlinge

Ganz anders die Tutzinger Akademie: Bereits im April 1959, also etwa einem halben Jahr nach ihrem offiziellen Arbeitsbeginn, veranstaltete sie die erste „Wochenendfreizeit für Flüchtlingsstudenten und  -abiturienten aus Mitteldeutschland“. Im Sommer schlossen sich zwei Ferienseminare an. Im Akademieprogramm heißt es: "Für die aus Mitteldeutschland geflohenen Studenten und Abiturienten sind im Bundesgebiet und in West-Berlin halbjährige Sonderkurse eingerichtet worden, die mit einer Ergänzungsprüfung zur mitteldeutschen Reifeprüfung abschließen. In diesen Sonderkursen sollen die jungen Menschen nicht nur ihr schulisches Wissen, vor allem in Deutsch und Geschichte, erweitern, sondern sie sollen auch mit den Gehalten und Methoden freier Wissenschaft und mit den Grundfragen unserer freiheitlichen Lebensordnung vertraut gemacht werden. Da es sich hier um eine pädagogisch und politisch gleichermaßen wichtige und schwierige Aufgabe handelt, veranstaltet die Akademie im Zusammenwirken mit der ‚Arbeitsgemeinschaft für Studenten und Abiturienten aus Mitteldeutschland’ ein Ferienseminar für zwei dieser Sonderkurse, worin Fragen der Staatsphilosophie und Gesellschaftslehre, des Bolschewismus und Nationalsozialismus, der Wirtschaftsformen und Wirtschaftsstile, der Publizistik und des Zeitgeschehens behandelt werden."

Neuer Anstoß

Die Akademie machte es sich weiterhin zur Aufgabe, die Probleme der DDR-Forschung in verstärktem Maße aufzugreifen und in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Man war überzeugt, dass der Meinungs- und Informationsaustausch über die Lage der DDR-Forschung, über konkrete Vorhaben und laufende Arbeitsprojekte sowie über künftig notwendige Schritte eines neuen Anstoßes bedürfe. Dieser sollte mit der im September 1967 veranstalteten 1. Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland gelingen: Teilnehmer waren in erster Linie Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, die mit Forschungsarbeiten zur DDR befasst waren, daneben Journalisten, Verlagslektoren sowie Politiker. Diese Tagung war die erste ihrer Art in der Bundesrepublik und hat ein vielfältiges Interesse gefunden. Auf Anregung der Akademie fanden weitere jährliche Fachtagungen über Fragen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR statt.

Die meisten Tagungsreferate erschien zunächst in den regulären Heften des Deutschland Archivs, der Zeitschrift für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik. Beginnend mit der 3. DDR-Forschertagung 1970 wurden die Tagungsbeiträge dann in Form von Sonderheften des Deutschland Archivs publiziert. Diese Praxis wurde bis zum 8. Treffen der DDR-Historiker in Tutzing im Jahre 1975 beibehalten. Ab 1976 fanden die jährlichen Zusammenkünfte in der Woche nach Pfingsten nicht mehr in der Akademie statt.

Steffen H. Elsner


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