Rationalität als Ziel politischer Bildung

In Erinnerung an Altdirektor Manfred Hättich

März 2003



Heinrich Böll mit Manfred Hättich (v.l.) Udo Giesen, Köln


Wie kaum ein Zweiter prägte Manfred Hättich die Akademie. Er schuf nicht nur einen Raum für freie Debatten, sondern formte auch eine interne Kultur der Offenheit, Rationalität und kritischen Auseinandersetzung.

Geboren wurde Manfred Hättich am 12. Oktober 1925 als Sohn des Hauptlehrers Eugen Hättich und seiner Ehefrau Rosa in Owingen bei Überlingen. Seine frühe Kindheit und Jugend verbrachte er an mehreren Orten Südbadens. Von 1938 bis 1943 besuchte er das Humanistische Gymnasium in Konstanz. Im Mai 1943 wurde er zunächst zum Arbeitsdienst und im August mit gerade einmal 17 Jahren zur Wehrmacht eingezogen. Von August 1944 bis Mai 1947 befand er sich in französischer Kriegsgefangenschaft.

Nach seiner Rückkehr aus Frankreich studierte Hättich vom Wintersemester 1947/48 bis zum Sommersemester 1951 Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Br. und legte dort im Juli 1951 das theologische Abschlussexamen ab. Im Wintersemester 1951/52 nahm er ebenfalls in Freiburg das Studium der Volkswirtschaft auf. Gleichzeitig wurde er hauptamtlicher Tutor für politische Bildung (Colloquium politicum) im neu eingeführten Studium Generale der Freiburger Universität. Im Rahmen dieser Tätigkeit avancierte Hättich auch zum Mitglied der Kommission für politische Bildung bei der Westdeutschen Rektorenkonferenz.

Vom Herbst 1953 bis zum Herbst 1955 war Hättich als Referent für politische Bildung im Sekretariat der Deutschen UNESCO-Kommission in Köln beschäftigt. Im Oktober 1955 kehrte er nach Freiburg zurück und begann neben dem volkswirtschaftlichen zusätzlich das Studium der Wissenschaftlichen Politik und der Soziologie – bei seinem Mentor, dem Politikprofessor Arnold Bergstraesser. Nebenher war er freiberuflich in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung tätig.

Im Mai 1957 wurde Hättich mit seiner Dissertation „Wirtschaftsordnung und katholische Soziallehre“ von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg zum Dr. rer. pol. promoviert. Im Anschluss führte er sein politikwissenschaftliches Studium weiter. 1958 übernahm Hättich die Leitung des neugegründeten Ost-West-Instituts Baden-Württemberg, Institut für politische Jugendbildung (Studienhaus Wiesneck) in Buchenbach bei Freiburg im Südschwarzwald, dessen Vorstandsvorsitzender Arnold Bergstraesser war. Parallel dazu verfasste er seine Habilitationsschrift über den Demokratiebegriff („Demokratie als Ordnung und Idee. Versuch einer Klärung“), mit der er im Juli 1965 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg habilitiert wurde.

Hättichs Weg in die Akademie

Zwischen 1964 bis Mai 1966 fungierte Hättich als Leiter der neu errichteten Studentensiedlung „Am Baggersee“ der Universität Freiburg. Nach kurzer Privatdozentur in Freiburg und Lehrstuhlvertretung in Mainz erfolgte im April 1967 die Berufung Hättichs zum ordentlichen Professor für Politikwissenschaft an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Wenig später, im Dezember 1969, schlug das Akademiekuratorium Manfred Hättich für die Nachfolge des Gründungsdirektors Felix Messerschmid vor, dessen letzte Amtszeit turnusgemäß im Oktober 1970 endete. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1970 wurde Manfred Hättich auf den ordentlichen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft in der Staatswirtschaftlichen Fakultät (GSI) an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen, und zugleich beurlaubt, um zunächst für die Dauer von sechs Jahren zum Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ernannt zu werden. In dieser Funktion wurde er für jeweils weitere sechs Jahre am 1. Oktober 1976, am 1. Oktober 1982 und erneut am 1. Oktober 1988 bestätigt. Kurz nach Vollendung seines 68. Lebensjahres trat Hättich 1993 in den Ruhestand. Mit insgesamt 23 Jahren ist er der bislang längstgediente Amtsträger. Am 29. Oktober 1993 fand der offizielle Festakt zur Übergabe der Amtsgeschäfte an den neuen Akademiedirektor Heinrich Oberreuter statt.

Auch nach der Emeritierung blieb Hättich im Ruhesstand vielfach aktiv: Bereits ab 1990 hatte er sich am Neuaufbau der Politikwissenschaft an der TU Chemnitz beteiligt. Im Wintersemester 1995/96 nahm er die Otto von Freising-Gastprofessur an der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt wahr. Nebenher hatte er bis zum Sommersemester 1996 einen Lehrauftrag an der Hochschule für Politik (HfP) in München.

Seine Aktivitäten musste er aus gesundheitlichen Gründen zunehmend einschränken. Nach seinem Tod am 31. März 2003 wurde er auf dem Neuen Friedhof St. Joseph in Tutzing beigesetzt. Manfred Hättich war seit 1954 mit Rita Hättich verheiratet und hinterließ drei gemeinsame Kinder.

Herrschaftsfreier Diskurs als Erbe des Altdirektors

Die Akademie hat Manfred Hättich vieles zu verdanken. Mit seinem von Offenheit, Toleranz und Pluralität geprägten Leitungsstil trug er maßgeblich zum hohen Ansehen der Tutzinger Einrichtung bei. Er hat dort tatsächlich eine Art „herrschaftsfreien Diskurs“ ermöglicht und die Akademie als eine Stätte geformt, in der eine kritische Auseinandersetzung ohne jene Reflexe ablaufen konnte, die ansonsten regelmäßig die Debatte ersticken. Die Kultur eines kritischen Dialogs war ihm ebenso wichtig wie das gesellschaftliche Anliegen, die rationalen Grundlagen politischer Urteilsbildung zu entwickeln und zu stärken. Zu seinem ureigenen Stil und seiner besonderen Begabung gehörte zweifellos, Themen im Gespräch zu entfalten und in kompromissloser Orientierung an Rationalitätskriterien zum Kern der Probleme vorzustoßen. Das schloss keineswegs den klaren Standpunkt aus, den Hättich stets mit der nötigen Hartnäckigkeit zu verteidigen wusste. Er blieb zeitlebens ein sich einmischender Politikwissenschaftler, dessen Engagement in diversen Beratungs- und Expertengremien, Kommissionen und Fachverbänden zugleich von einer beeindruckenden Liste an Auszeichnungen und Ehrungen begleitet war.

„Demokratie“, sagt Julian Huxley, „verlangt immer wieder das Durchdenken ihres Verhältnisses zur sich wandelnden Welt.“ Diese Erkenntnis war auch für Manfred Hättich Ausgangspunkt seiner Fragen und Analysen. Dazu setzte er auf nüchterne Betrachtung und vernünftiges Denken. Der Name Manfred Hättich wird untrennbar mit der Tutzinger Akademie verbunden bleiben.

 

Weiterführende Literatur:

Akademie für Politische Bildung (Hg.): Erkenntnis im Dialog. Zum Gedenken an Prof. Dr. Manfred Hättich, Tutzing (Akademie für Politische Bildung) 2003.

Mols, Manfred / Mühleisen, Hans-Otto / Stammen, Theo / Vogel, Bernhard (Hg.): Normative und institutionelle Ordnungsprobleme des modernen Staates. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Hättich am 12. Oktober 1990, Paderborn u.a. (Schöningh) 1990.

Oberreuter, Heinrich (Hg.): Das menschliche Maß aller Dinge. Gedenkschrift für Manfred Hättich. Symposion der Akademie für Politische Bildung Tutzing am 26./27. März 2004 mit einem bisher unveröffentlichten Text aus dem Nachlass, München (Akademischer Verlag) 2005.

Steffen H. Elsner


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