Eigennütziges Miteinander der Generationen

Eine Politiksimulation zum demografischen Wandel

November 2013



Geza Aschoff


Um es vorweg zu sagen: Der von vielen beschworene Kampf zwischen Jungen und Alten ist ausgeblieben. Und das, obwohl beim sogenannten Parlament der Generationen intensiv und kontrovers über die Folgen des demografischen Wandels diskutiert und um politische Lösungsansätze gerungen wurde. Am Ende setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass die Interessen der verschiedenen Altersgruppen häufig gar nicht so weit auseinander liegen und mit einer abgestimmten Politik zufriedenstellend durchgesetzt werden können.

Mit dem Parlament der Generationen hat die Akademie für Politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung etwas wirklich Einzigartiges gewagt: eine Politiksimulation, die die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess untersucht. Wie wirkt sich die Tatsache, dass wir „weniger, älter und vielfältiger“ werden, zum Beispiel auf die Diskussionen in den Parlamenten, auf die Mehrheitsfindung und damit auch auf die Abstimmungsergebnisse bei künftigen Gesetzgebungsprozessen aus?

Ein Haus, zwei Parlamente

Um Antworten auf diese Frage zu geben, hat das Parlament der Generationen gewissermaßen als Zwillingsparlament gearbeitet. Das heißt, dass es zwei Parlamente gab, deren Strukturen, Diskussionsthemen und Rahmenbedingungen identisch waren, deren demografische Zusammensetzung sich jedoch deutlich unterschieden hat. Während das eine Parlament die gegenwärtige Bevölkerung Deutschlands widerspiegelte, repräsentierten die Mitglieder des anderen Parlaments mit Blick auf Alter, Herkunft und Bildung die voraussichtliche Bevölkerungsstruktur im Jahr 2050. Diskutiert haben beide Gruppen, also das Szenario 2013 und das Szenario 2050, die gleichen Themen und unter Annahme ansonsten gleicher Rahmenbedingungen, aber völlig unabhängig voneinander. Nur dadurch war es möglich, die Diskussionsverläufe und Abstimmungsergebnisse am Ende zu vergleichen und daraufhin zu untersuchen, ob und wie die unterschiedliche demografische Zusammensetzung den politischen Prozess und dessen Ergebnisse beeinflusst hat.

Drei Themen, vier Altersfraktionen

Im November 2013 war es soweit: Am ehemaligen Sitz des Deutschen Bundestages in Bonn kamen die mehr als 200 Mitglieder des Parlaments der Generationen zusammen.
Die Arbeitsweise des Parlaments der Generationen, sowohl in der Zusammensetzung 2013 als auch 2050, entsprach weitgehend den bekannten parlamentarischen Abläufen. Die Meinungsbildung erfolgte jedoch nicht in parteipolitisch konstituierten Fraktionen, sondern in jeweils vier Altersfraktionen, den sogenannten Generationenräten. Hier kamen die Mitglieder zusammen, die gleiche altersgruppenspezifische Interessen verfolgten, um eine gemeinsame Positionierung zu erreichen. Die Ausarbeitung der Beschlussvorlagen erfolgte hingegen, wie in anderen Parlamenten auch, in Fachausschüssen, die jeweils einem der drei Themenbereiche – Familie und Beruf, Regionen sowie Bildung – zugeordnet waren.
Am Ende der Simulation wurde natürlich im Plenum über die verschiedenen Beschlussvorlagen abgestimmt. Diese für alle Beteiligten besonders beeindruckende Sitzung fand im Plenarsaal des ehemaligen Bundestagsgebäudes statt.

Sachlichkeit und Offenheit

Welche Erkenntnisse konnten aus den Verhandlungen gewonnen werden? Wie haben die Teilnehmer diskutiert, miteinander gerungen und abgestimmt?
Zunächst ist der überaus respektvolle und konstruktive Umgang der Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander festzuhalten, den alle Beteiligten am Ende der Veranstaltung hervorgehoben haben. Das Diskussionsklima war von Anfang an geprägt durch eine große Sachlichkeit und Offenheit, gerade auch über Generationsgrenzen hinweg.

Hohe Übereinstimmung

Beide Szenarien entschieden sich im Bildungssektor – trotz des teilweisen Widerstandes der ältesten Generation – für eine Förderung des vorschulischen und schulischen Bereichs. Im Ausschuss Familie und Beruf entschieden beide Szenarien, das „Vereinbarkeitsmodell“ besonders zu stärken, das Eltern ermöglichen soll, trotz der Erziehung von Kindern weiterhin am Erwerbsleben teilzuhaben. Und auch im Ausschuss Regionen entschieden sich die Parlamentarier beider Szenarien für die gleichen Bereiche der Daseinsvorsorge, die in schrumpfenden Regionen besonders gefördert werden sollten: der Öffentliche Personennahverkehr, die Versorgung pflegebedürftiger Menschen und die Kinderbetreuung. Im Plenum wurden die Beschlussvorlagen der Ausschüsse abschließend mit sehr großen Mehrheiten – die Zustimmung schwankte zwischen 77 und 91 Prozent – angenommen.

Unterschiedliche Strategien

Lässt man sich von den insgesamt großen Zustimmungsraten zu den einzelnen Beschlussvorlagen im Plenum nicht blenden, dann offenbart der Blick auf die Diskussionsverläufe interessante Erkenntnisse zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf politische Entscheidungsprozesse. Drei Schlussfolgerungen scheinen besonders bemerkenswert:

Erstens zeichnete sich beim Parlament der Generationen ab, dass sich Konfliktlinien auch künftig nicht zwingend zwischen den Altersgruppen, sondern vermehrt innerhalb von Generationen bilden. Zweitens müssen selbst ausgeprägte altersgruppenspezifische Interessen nicht in unlösbaren Konflikten münden, weil sie miteinander verzahnt sind. Eigennützige Motive und ein generationsübergreifendes Miteinander sind also keine Widersprüche; sie gehen oft Hand in Hand. Drittens ist die Größe einer Interessengruppe nicht allein ausschlaggebend für deren Durchsetzungsfähigkeit.

Mittel gegen Politikverdrossenheit

Ganz nebenbei haben die Mitglieder des Parlaments der Generationen natürlich auch noch jede Menge gelernt über die Schwierigkeiten der politischen Entscheidungsfindung. Befragt danach, was ihn am meisten überrascht habe, antwortete ein Teilnehmer: "wie anstrengend und kompliziert es sein kann, Politik zu machen." Ein anderes Mitglied des Parlaments der Generationen resümierte seine Erfahrungen folgendermaßen:

Die Arbeitsweise eines Parlaments wurde sehr gut ersichtlich, dies wirkt möglicherweise der Politikverdrossenheit entgegen.

Angesichts dieser Erfahrungen liegt es auf der Hand, dass die Akademie für Politische Bildung auch in Zukunft ähnliche Politiksimulationen zum demografischen Wandel durchführen wird. Nicht in Bonn und vielleicht nicht unbedingt mit mehr als 200 Teilnehmern, dafür aber mit etwas mehr Zeit und dem gleichen Maß an Enthusiasmus wie bei diesem Parlament der Generationen.

Jörg Siegmund


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