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Wie krank ist die Wirtschaft?

Episode 4 unseres Podcasts mit Wolfgang Quaisser

Die Corona-Pandemie hat sich von einer Gesundheits- in eine Wirtschaftskrise gewandelt: geschlossene Läden, abgesagte Veranstaltungen, Unternehmen in Kurzarbeit. Im Podcast erklärt unser Dozent für Wirtschafts- und Sozialpolitik Wolfgang Quaisser, wie es um die Wirtschaft steht. Zeigen die Hilfspakete von Bund und Ländern Wirkung? Welche Exit-Strategien gibt es aus dem Lockdown? Womit kämpft die Weltwirtschaft? Und was hat Europa aus der Banken- und Finanzkrise 2008 gelernt?

Tutzing / Podcast / Online seit: 20.04.2020

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast-Transkript "Wie krank ist die Wirtschaft?" als PDF

Podcast

Beate Winterer: Hallo alle zusammen! Wir sind hier wieder bei Akademie fürs Ohr, dem Podcast aus der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See. Solange wir hier keine Tagungen machen können, reden wir regelmäßig über die Auswirkungen von Corona auf unsere Arbeits- und Forschungsbereiche. Ich bin Beate Winterer, Pressereferentin an der Akademie. Zuletzt habe ich mit meinem Kollegen Michael Schröder darüber gesprochen, wie die Medien mit der Coronakrise umgehen und wie Corona vielleicht auch die Medienlandschaft verändern könnte. Heute bin ich hier mit Dr. Wolfgang Quaisser, er ist promovierter Ökonom und leitet bei uns den Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ich bin in der Akademie und Herr Quaisser ist mir am Telefon zugeschaltet aus dem Home Office. Wir wollen uns heute über die Auswirkungen von Corona auf die Wirtschaft unterhalten. Wir werden uns den aktuellen Stand anschauen, aber auch über mögliche Exit-Strategien und Zukunftsszenarien sprechen.

Wie steht's um die deutsche Wirtschaft?

Beate Winterer: Herr Quaisser, die meisten Geschäfte sind ja gerade geschlossen, Restaurants bieten Essen nur noch zum Mitnehmen an, viele Industrieunternehmen sind in Kurzarbeit: Corona hat die Wirtschaft innerhalb von wenigen Wochen komplett verändert. Wie steht es denn jetzt gerade um den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Wolfgang Quaisser: Ja, gut, er ist getroffen wie alle anderen Länder auch: massiv! Deutschland besonders stark, weil wir natürlich Exportnation sind und der Welthandel drastisch zusammengebrochen ist. Also, es wird uns schon sehr heftig treffen.

Hilfspakete - ein wirksames Instrument!

Beate Winterer: Die Bundesregierung und auch die Landesregierungen haben ja schon Hilfspakete für Betriebe gestartet, es gibt Soforthilfen um die Liquidität zu bewahren und es sollen auch langfristige Pakete geschnürt werden. Wie bewerten Sie denn diese Maßnahmen? Wirken die?

Wolfgang Quaisser: Also diese Maßnahmen waren absolut richtig - auch in der Geschwindigkeit, in der sie durchgesetzt wurden. Beachtlich: Es wurde immer wieder nachtariert, in solchen Krisen muss man sich ja auch korrigieren, man lernt ja daraus – das gilt im medizinischen Bereich - und so gilt es auch in den Wirtschaftsprogrammen.

Beate Winterer: Trotzdem kritisieren gerade die Handelsverbände jetzt die neue Strategie, dass man schrittweise öffnet und nur kleinere Länden erstmal wieder öffnen lässt. Es ist immer die Rede von Wettbewerbsverzerrung, weil in großen Kaufhäusern ja vielleicht mehr Abstand möglich wäre. Wie sehen Sie denn das? Werden da die verschiedenen Wirtschaftsbereiche gleichbehandelt oder gibt es da doch gewisse Unausgeglichenheiten?

Wolfgang Quaisser: So ein exogener Schock trifft natürlich die Wirtschaftsbranchen unterschiedlich, das ist völlig klar. Es gibt ja auch welche, die profitieren jetzt - wenn wir nur an medizinische Ausrüstung denken - das ist völlig klar. Aber die Gefahr, vorzeitig die Sache zu beenden und dann zu riskieren, dass die Sache nochmal aufgelegt werden muss - mit den Beschränkungen - ist sehr groß. Daher ist es eine, wahrscheinlich sehr ausgewogene, politische Entscheidung und man fährt da erst nur auf Sicht. Das Risiko ist einfach zu groß, denn man muss sich klarmachen: Diese Krise lebt ja von der Angst und Unsicherheit, das ist der eine große Effekt. Der andere ist die Zerstörung der Lieferketten, das ist klar. Das ist sozusagen ein Schock auf der Nachfrage- und Angebotsseite, wie wir das noch nie gehabt haben, mit großen, großen Unsicherheiten. Und hier frühzeitig einen Fehler zu machen, das würde sich nämlich sehr, sehr rächen - auch wirtschaftlich.

Exit-Strategien aus dem Lockdown

Beate Winterer: Es werden jetzt verschiedene Exit-Strategien diskutiert. Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten haben auch schon erste Szenarien vorgestellt, wie man jetzt in den nächsten Wochen vorgehen könnte - auch wenn das noch nicht bis zum Ende wirklich bekannt gegeben wurde oder auch vielleicht noch gar nicht absehbar ist. Könnten Sie vielleicht einfach mal zusammenfassen, welche verschiedenen Exit-Strategien es da im Moment gibt?

Wolfgang Quaisser: Ja, also man muss schrittweise... Man könnte das staffeln nach der Wertschöpfung, nach der Betroffenheit, nach den hygienischen Möglichkeiten das zu machen, aber da wird man sich langsam vorarbeiten. Der entscheidende Punkt ist jedoch, wie sich diese Krise in der Weltwirtschaft ausbreitet. Das ist jetzt gar nicht so sehr unsere eigene Exit-Strategie, die uns dann ganz schnell in das Paradies wieder zurückführt, sondern wir müssen bedenken: Die Weltwirtschaft wird heftig getroffen.

U-, V-, L-Kurve: Wie verläuft die Krise?

Wolfang Quaisser: Es gibt jetzt die möglichen Verlaufsformen dieser Krise. Die eine wäre, wir haben einen dramatischen Einbruch jetzt und dann geht es wieder ganz rasch nach oben - das wäre so ein Verlauf wie ein V - bildlich gesprochen. Also im Prinzip: kurze Krise - heftig, sehr heftig, die heftigste eigentlich seit hundert Jahren - aber dann geht es ganz rasch wieder auf. Dagegen spricht etwas - oder wir wissen es nicht: Wie schnell können die Lieferketten wiederaufgebaut werden? Wie schnell können die anderen großen Volkswirtschaften sich wieder berappen, nach oben kommen? Denn wir sehen gerade, dass die USA in der Prognose des Währungsfonds mit sechs Prozent in diesem Jahr einbrechen sollen, Großbritannien um sieben Prozent, Frankreich um sieben Prozent. Also es sind sehr dramatische Verläufe, die auch zeitlich etwas verschoben sind. China soll nur um 1,3 Prozent wachsen, was für China eigentlich eine Katastrophe ist. Also es ist die Frage, ob das funktioniert. Das schlimmere Szenario wäre eine U-Form, das heißt wir haben einen dramatischen Einbruch, wir bleiben für einige Zeit auf niedrigem Niveau und dann geht es aber wieder rasch nach oben. Ein ganz schlechtes Szenario wäre das L, nämlich der dramatische Einbruch und dann praktisch nur ein ganz, ganz langsames Wachstum weiter, das heißt die Trendwachstumsrate wäre niedriger und wir kämen gar nicht mehr auf das alte Niveau. Das wäre sozusagen dann der Fall, wenn die Globalisierung und die weltweite Arbeitsteilung leiden würden und nationale Egoismen und der Aufbau von Handelsschranken weitergingen und wir dadurch einen langfristigen Schock hätten.

Beate Winterer: Man hört ja jetzt oft - weil man eben nicht weiß, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt: Sollte man lieber den Konsum im Land ankurbeln? Was halten Sie denn davon? Ist das zumindest zu einem gewissen Grad möglich? Ich meine, immerhin die Leute waren jetzt lange zuhause - oder werden lange zuhause sein, haben kein Geld ausgegeben, wollen raus. Wie schnell kann denn das wirtschaftliche Leben wieder anlaufen und wäre das eine Möglichkeit um vielleicht Verluste im Welthandel auszugleichen?

Wolfgang Quaisser: Nur bedingt. Sicher ist das rasch möglich, weil es gibt einen Konsumstau. Sobald also die Läden wieder offen haben, dann zieht das rasch an, also das ist gar keine Frage. Nur wir dürfen uns keine Illusionen machen, das geht ja nicht so, wie es vorher war, sondern es wird mit weiteren Beschränkungen laufen. Der Konsum wird ja gestützt durch das Kurzarbeitergeld, durch die verschiedenen Transferleistungen. Wir geben ja hier von den Rettungsmaßnahmen in Deutschland 1,2 Billionen Euro aus - also Kredite, Zuwendungen und Garantien. Das ist ungefähr das Dreifache des jährlichen Bundeshaushaltes - das muss man sich mal vorstellen. Das zeigt, in welcher tiefen Krise wir da sind. Deutlich stärker als damals in der Finanzkrise 2008. Also der Konsum wird sicher anlaufen - sobald sich das liberalisiert - aber das hängt sehr stark von den Begrenzungen ab, die wir im täglichen Leben noch haben.

Corona und die schwarze Null

Beate Winterer: Sie haben ja jetzt gerade gesagt, diese Ausgaben für Hilfsprogramme sind der dreifache Bundeshaushalt. Zuletzt war der Bundeshaushalt ja recht stabil, wir hatten einige Jahre lang die schwarze Null. Zahlt sich das jetzt eigentlich aus oder sind die Schulden, die jetzt entstehen, so groß, dass es eigentlich schon fast egal ist, wie die letzten Jahre gewirtschaftet wurde?

Wolfgang Quaisser: Nein! Das ist ein großes Polster. Wir haben ja praktisch unsere Staatsverschuldung runtergefahren von ungefähr 80 Prozent des Sozialproduktes auf 60 Prozent. Wir fahren das halt jetzt wieder hoch. Wir werden mindestens wieder bei 70 bis 80 Prozent landen. Die Frage ist, wie das dann wieder abgebaut wird. Das ist die erste Frage im nationalen Rahmen. Aber es kommen ja noch internationale Verpflichtungen, Hilfsprogramme auf EU-Ebene dazu, es kommt die Unterstützung international dazu. Viele Schwellenländer werden jetzt in eine große Krise reinkommen, da wissen wir auch noch nicht, was auf uns zukommt. Dann ist die Frage, wie das Bankensystem doch in Zweit- oder Drittrundeneffekten getroffen wird, ob wir hier auch noch intervenieren müssen. Also, das wird uns schon massiv treffen, aber Deutschland kann das verkraften, das geht. Es ist nur die Frage, wie das in Europa insgesamt aussieht. Und wir haben natürlich einige Länder in der Eurozone, die ihre Verschuldung nicht abgebaut haben, sondern erhöht haben. Also hier sind erhebliche Risiken da und es ist die Frage, wie die Europäische Union, die Eurozone, beieinandersteht um diesen doch sehr gewaltigen Schock aufzufangen. Also die Prognose für Italien des Internationalen Währungsfonds ist, dass das Sozialprodukt um neun Prozent zurückgeht. Also das ist noch die - sagen wir mal - moderate Prognose. Und die Italiener sind schon jetzt mit 130 bis 140 Prozent des Sozialproduktes verschuldet. Also hier sind reale Probleme und ich bin gespannt, wie wir das gemeinsam schaffen werden.

Lehren aus der Bankenkrise 2008

Beate Winterer: Welche Strategien gibt es denn in den Wirtschaftswissenschaften, die sich bewährt haben, um aus solchen Krisen herauszukommen? Man hat ja schon auch, denke ich, Lehren gezogen, gerade aus der Bankenkrise, die ja auch ganz Europa - manche mehr, manche weniger - getroffen hat.

Wolfgang Quaisser: Also ich habe das Gefühl, dass die Lehren gezogen wurden. Vor allem, weil man sehr schnell, sehr viel Geld in die Hand genommen hat. Und man nicht so lange hin und her diskutiert hat, über eine oder zwei Milliarden mehr oder weniger, sondern gleich, sozusagen, mit voller Wucht gegen diese Krise angeht. Das ist also wirklich eine große Lehre, die gezogen und beherzigt wurde. Da kann man sagen, es wurde also richtig gehandelt. Es ist natürlich ein anderer Ansatz jetzt. Wir müssen, um die Zweit- und Drittrundeneffekte dieser Krise zu vermeiden, müssen wir die Realwirtschaft stabilisieren, das heißt wir müssen die Einkommen und Löhne stabilisieren - was wir durch Kurzarbeitergeld machen und andere Zuwendungen - gleichzeitig auch die Liquidität der Unternehmen stützen und Stundungen bei Steuern und sonstigen Verpflichtungen einführen. Sonst würde diese Krise aus der Realwirtschaft sich weiter in den Bankensektor reinfressen. Jetzt ist natürlich die entscheidende Frage, wie lange es dauert.

Beate Winterer: Dann sind wir gespannt, wie lange es noch dauert, wie lange die Wirtschaft noch zwangsweise heruntergefahren ist. Herr Quaisser, ich bedanke mich fürs Gespräch - und ich bedanke mich auch bei allen, die uns wieder zugehört haben bei Akademie fürs Ohr. Abonnieren Sie gerne unseren Podcast, wir freuen uns darüber. Wir werden auch in den nächsten Wochen weiterhin über die aktuellen Entwickelungen in der Coronakrise sprechen. Es war sicher nicht unser letztes Gespräch über Wirtschaft. Und das Wichtigste ist natürlich: Bleiben Sie alle gesund. Und bis bald!

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