Menu

Medien im Krisenmodus

Episode 3 unseres Podcasts mit Michael Schröder

Die Coronakrise hat den Journalismus in einen Ausnahmezustand versetzt. Das Bedürfnis nach Informationen ist riesig. Sondersendungen werden zur Regel, Auflagenzahlen steigen zum ersten Mal seit Jahren und Verlage melden Rekorde bei ihren Digital-Abos. Gleichzeitig kämpfen Redaktionen mit der massenhaften Stornierung von Anzeigen und müssen Kurzarbeit beantragen. Michael Schröder, Dozent für Medien und Kommunikationspolitik, spricht darüber, was Corona mit den Medien macht - und was die Medien mit Corona machen. Wer deckt Fake News auf? Können Journalisten verlorenes Vertrauen zurückgewinnen? Und wird Social Media endlich sozial?

Tutzing / Podcast / Online seit: 16.04.2020

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast-Transkript "Medien im Krisenmodus" als PDF

Podcast

Beate Winterer: Willkommen! Wir sind schon in der dritten Folge von Akademie fürs Ohr heute. Wir sind hier in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See. Ich bin Beate Winterer, Pressereferentin an der Akademie, und beim letzten Mal habe ich mit unserer Direktorin Ursula Münch darüber gesprochen, wie Populisten die Coronakrise für sich nutzen konnten. Und heute habe ich ihren Stellvertreter hier, Dr. Michael Schröder, gelernter Journalist und promovierter Kommunikationswissenschaftler. Wir sitzen, wie immer, mit großem Abstand in einem unserer leeren Seminarräume. Und heute wollen wir darüber sprechen, was die Coronakrise mit den Medien macht - oder umgekehrt: Was die Medien mit der Coronakrise machen.
Michael, schön, dass du da bist...

Michael Schröder: Ja, freue mich auch!

Beate Winterer: ... wie ist denn dein bisheriger Eindruck von der Medienberichterstattung über die Coronakrise?

Michael Schröder: Also, es ist natürlich eine sehr breite Berichterstattung. Es gibt Sondersendungen zuhauf auf allen Kanälen. Es gibt geänderte Programme und die Programmmacher und -innen haben, glaube ich, sehr gut reagiert in den letzten Wochen und haben auch völlig neue Formate entwickelt. Es gibt ja inzwischen auch kaum noch eine Tagesschau, die nur noch 15 Minuten lang ist. Sondern auch da gibt es inzwischen Überlängen und anschließend noch eine Sondersendung. Also ich glaube, es ist eine sehr breite Berichterstattung und sie ist auch in der Qualität über weite Strecken - vor allem, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeht - sehr gut. Natürlich spielt die Krise auch den Medien insofern in die Hände, weil natürlich das Corona-Thema, von den Nachrichtenwertfaktoren her, geradezu unschlagbar ist. Da ist eigentlich alles drin, was man braucht, um von einem Ereignis zu einer Nachricht zu kommen. Es ist eine bedrohende Katastrophenberichterstattung. Es ist die Frage Gesundheit. Das Virus richtet Schäden an. Es geht um Geld, es geht um wirtschaftliche Existenzen. Das Ganze ist Bedrohung, hat was Dramatisches. Es ist immer wieder aktuell, es gibt jeden Tag neue Zahlen und auch Prominente sind betroffen. Also es gibt eigentlich keinen Nachrichtenwert, keinen Faktor, der nicht den Medien in die Hand spielt. Und wir sehen es ja auch an der Resonanz: Wir haben in den letzten Wochen Rekordwerte, was die Nachrichten- und Informationswerte angeht - und zwar nicht nur bei den Öffentlich-Rechtlichen, sondern auch die Nachrichtensender der privaten Anbieter haben deutlich höhere Werte als in normalen Zeiten. Die Tagesschau hat am 22. März - das war der Sonntag, als die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten gemeinsam die neuesten Beschränkungen verkündet hat - einen Wert von über zwölf Millionen gehabt - alleine im ersten Programm über zwölf Millionen. Neun bis 9,5 ist normal, das ist der Durchschnittswert. Und wenn man alle Werte aus den anderen Sendern noch dazu nimmt, wo die Tagesschau auch um 20 Uhr ausgestrahlt wird, dann ist sie an diesem Tag auf 17 Millionen Zuschauer gekommen. Das ist natürlich ein einmaliger Spitzenwert.

Rekorde bei Abos und Zuschauerzahlen

Beate Winterer: Ich habe gesehen, selbst gedruckte Zeitungen, oder deren Digital-Abos, sind mit ihren Auflagen bei Werten, die sie lange nicht mehr erreicht haben. Worauf führst du das denn zurück? Es würde ja im Internet und im Fernsehen genug geben...

Michael Schröder: Ja, aber es ist auf der anderen Seite wohl auch so, dass das Informationsbedürfnis doch ganz enorm ist und dass man sich nicht nur auf das beschränkt, was einem abends um 19 oder um 20 Uhr von den Nachrichtenredaktionen ins Haus kommt. Sondern man will eigentlich permanent auf dem Laufenden sein: Was gibt es an neuen Entwicklungen? Wie sind die neuen Zahlen? Gibt es Nachrichten über mögliche weitere Einschränkungen oder aber auch Lockerungen der Maßnahmen? Also das Informationsbedürfnis ist enorm. Und du hast Recht, wir hatten bei den Digitalabrufen enorme Steigerungsraten. Da gibt es Daten der Zeitungsverleger, da geht man von 60 bis 65 Prozent aus gegenüber dem Vormonat. Und die FAZ hat kürzlich bekannt gegeben, sie hätte eine Steigerung von 80 Prozent in dem Bereich. Da muss man sich immer anschauen: Auf welchem Niveau ist diese Steigerung? Aber es sind natürlich schon Werte, die ganz enorm sind.

Beate Winterer: Glaubst du, dass manche Medien davon auch nach der Krise davon profitieren können, wenn jetzt auch mehr Leute mit ihrem Angebot in Kontakt kommen? Oder ist das jetzt wirklich was, man will sich informieren und wenn man wieder im Büro zurück ist - nicht mehr im Homeoffice -, wenn alles wieder entspannter ist, dann wird man das Digital-Abo vielleicht auch mal wieder auslaufen lassen?

Michael Schröder: Also natürlich haben wir im Moment keine normalen Zeiten. Die Leute haben ein hohes Informationsbedürfnis, aber sie haben auch viel mehr Zeit als sonst, das muss man auch sehen. Und da wird sich bei Normalisierung - wenn sie denn hoffentlich bald eintritt - sicherlich auch wieder etwas im Nutzungsverhalten ändern. Aber ich denke, wenn sich jemand mal an ein Digital-Abonnement gewöhnt hat, dann kann es vielleicht auch durchaus sein, dass er es schätzen gelernt hat und dabeibleibt. Das Problem ist natürlich nur, dass das Digital-Abo nicht das ausgleicht - auch neue Abos gleichen nicht das aus - was im Werbebereich, im Anzeigengeschäft, im Printbereich, momentan verloren geht. Da haben wir erhebliche Rückgänge, was das Anzeigenaufkommen angeht, einfach weil die Wirtschaft natürlich auch in einer Krise ist. Da muss auch im Moment jeder Cent umgedreht werden und es gibt riesige Stornierungswellen von Anzeigen im Printgeschäft. Und das macht sich natürlich auch bemerkbar. Man sieht es ja auch, die Zeitungen werden täglich dünner, Anzeigen fehlen. Und wenn die Anzeigen fehlen, dann ist natürlich ein wesentliches Standbein der wirtschaftlichen Existenz dahin. Und das ist auch durch Digital-Abos so schnell nicht wieder auszugleichen.

Beate Winterer: Ich glaube, die SZ hat darüber auch die Tage was geschrieben. Ich habe da was gelesen, wo es auch darum ging, dass sie sich über jeden neuen Abonnenten freuen, aber...

Michael Schröder: ... ja, es gleicht es eben das nicht aus, weil das Anzeigengeschäft ist natürlich noch ein ganz anderes vom Volumen her. Und wir haben erste Redaktionen, die in Kurzarbeit gehen, andere denken darüber nach. Und ich habe kürzlich gelesen, dass eine erste Regionalzeitung in Rottweil im Schwarzwald schon gedruckt gar nicht mehr erscheint. Also ich vermute, je länger diese Krise dauert - und sie auch zu einer Wirtschaftskrise der Zeitungen wird - dass es gerade kleinen und mittleren Regionalzeitung wirklich an die Existenz gehen wird. Und ich fürchte, dass wir wieder ein Zeitungssterben bekommen. Und dass wir unter Umständen wieder eine neue Konzentrationswelle bekommen, dass also die großen Tanker überleben und noch ein paar kleine Fische dabei schlucken. Das ist, glaube ich, ein Problem, das kann man noch gar nicht absehen. Aber ich fürchte, da tut sich was in dem Bereich - und zwar nicht zum Positiven, weil natürlich: Zeitungssterben bedeutet immer auch Einschränkungen von Meinungsvielfalt.

Medien nehmen Wächterfunktion ernst

Beate Winterer: Wenn man wieder zurück zu den Inhalten kommt. Was Corona angeht - gerade auch die Ausgangsbeschränkungen, die Einschränkungen der Freiheitsrechte - das ist ja jetzt nichts, das unumstritten ist. Du hast gemeint, die Medien - gerade auch die öffentlich-rechtlichen - machen ihren Job gerade ganz gut. Wie siehst du denn das? Schaffen die es auch, ihrer Kontrollfunktion hier gerade nachzukommen? Weil, auf der einen Seite ist es ja schon auch so, dass die Medien dazu aufrufen, sich auch wirklich daran zu halten. Aber wie wird denn mit der anderen Seite umgegangen - mit dieser Kontrollfunktion, mit der Bewertung von diesen Maßnahmen?

Michael Schröder: Also ich glaube, dass die Wächterfunktion da schon auch wahrgenommen wird. Und dass man auch die Stimmen gut zu Wort kommen lässt - zumindest in den überregionalen, seriösen Qualitätsmedien - die warnen und sagen: Also im Moment, ok. Einschränkung von Grundrechten nachvollziehbar, weil körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Recht auf Leben ist auch ein Grundrecht und da muss man halt Grundrechte gegeneinander abwägen. Solange das Ganze befristet ist, kann man dagegen im Moment nichts einwenden. Und ich glaube, dass da auch warnend darauf hingewiesen wird. Ich habe also nicht den Eindruck, dass man im Moment die Politiker leichtfertig machen lässt, wir haben noch keine ungarischen Verhältnisse - Gott sei Dank - wo die Krise ganz offenkundig genutzt wird, um noch mehr Macht beim Präsidenten anzuhäufen und Demokratie, Meinungsfreiheit und Grundrechte außer Kraft zu setzen - und zwar nicht befristet, sondern dauerhaft.

Krisenzeiten sind Fake-News-Zeiten

Beate Winterer: Krisenzeiten sind ja oft auch eine Zeit von Fake News. Wie ist denn da aktuell die Lage? Verbreitet sich da viel, gerade im Netz?

Michael Schröder: Also man beobachtet schon eine ganze Menge an Unsinn, an Desinformation - offensichtlich auch an gezielter Desinformation. Man weiß nicht immer genau, wo es herkommt, aber es ist schon eine ganze Reihe von Unsinn dabei und zum Teil sogar mit - ich sage mal - Fachautorität versehen. Dann gibt es den Lungenfacharzt, der sogar mal SPD-Bundestagsabgeordneter war, der Herr Wodarg, der völlige Abstrusitäten im Netz verbreitet, der aber eine riesige Resonanz darauf bekommt. Weil gerade in Zeiten von Unsicherheit und Ängsten - und ich glaube, so eine Zeit haben wir im Moment - da ist sozusagen ein idealer Nährboden da, wo dann diese Sumpfblüten gedeihen können. Aber auch da gibt es natürlich wieder Kontrollmedien, da gibt es hier beim Bayerischen Rundfunk den Faktenfuchs. Und da gibt es eine wunderbare Sammlung, die auch fortgeschrieben wird, und wo die Kolleginnen und Kollegen das auch wirklich im Blick haben und immer wieder neu auflisten, wenn wieder einmal vor Ibuprofen gewarnt wird oder wenn gesagt wird, wer Chlordioxid trinkt, ist am besten immun gegen Corona. Oder wenn vor Flüchtlingswellen gewarnt wird, die alle infiziert über die Grenze kommen. Oder wenn das Virus aus einem Geheimlabor in China entsprungen ist. Und was man dort alles findet... Wie gesagt, zum Teil sogar mit fachlicher Autorität, mit medizinischer Autorität versehen. Da wird es dann besonders gefährlich, wenn man es also nicht nur mit Sektierern zu tun hat, sondern mit Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten.

Social Media: endlich sozial?

Beate Winterer: Wie sieht es denn auf Social Media aus in Corona-Zeiten? Wenn ich bei Twitter reinschaue, da ist ja jeden Tag Vollalarm. Wie ist da dein Eindruck?

Michael Schröder: Also mein Eindruck ist, dass die sogenannten Social Media, die nach meiner Einschätzung früher nicht immer sozial waren, weil sie auch eine Fundgrube waren für Hass und Hetze, und für Desinformation, und für das, was man gerne auch als Fake News bezeichnet. Dass gerade in der Krise jetzt auch die sozialen Medien endlich sozial werden und auch zeigen, was sie sonst auch noch können. Ich denke da an die digitale Vernetzung von Nachbarschaftshilfen, Einkaufshilfen, die digitale Vernetzung in den Familien, über die Generationen hinweg, wo im Moment Besuche nicht möglich sind, wo plötzlich auch Großeltern facetimen oder andere digitale Möglichkeiten der Kommunikation - auch der Video-Kommunikation - entdecken, was sie vielleicht bisher so nicht getan haben. Regionaler Handel, dass Buchläden über Online-Bestellungen jetzt Bücher ins Haus bringen, die sie früher halt im Laden verkauft hätten. Also da gibt es eine Fülle von Beispielen. Die Gottesdienste, die im Netz ge-streamt werden. Zwar vor leeren Bänken, aber immerhin. Sie erreichen ihr Publikum - zumindest einen Teil davon. Ich glaube, das ist schon etwas, das man dem Internet immer sozusagen zugutegehalten hat: Es kann Öffentlichkeit demokratisieren, es kann alternative Öffentlichkeiten schaffen und da sehe ich im Moment eine ganze Menge an positiven Zeichen.

Beate Winterer: Und selbst Facebook versucht ja jetzt, gegen Fake News vorzugehen...

Michael Schröder: ...das ist ja ausgesprochen erfreulich und vielleicht kriegen sie dadurch ja auch wieder ein besseres Image und haben dann nicht mehr das Etikett der Propaganda-Schleuder...

Beate Winterer: ... das ist wahrscheinlich noch ein weiter Weg.

Boulevardmedien zeigen Verantwortung

Beate Winterer: Wie sieht es denn mit der Boulevardpresse im Moment aus? Hast du die auch irgendwie ein bisschen im Blick? Wird Corona da sehr ausgeschlachtet oder ist das eher auch ein seriöser Umgang im Moment mit dem Thema?

Michael Schröder: Also das, was ich da beobachten kann: erstaunlich seriös, muss ich sagen. Also ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Boulevardmedien da im Moment vor einen populistischen Karren spannen lassen, sondern dass man sich seiner Verantwortung sehr wohl bewusst ist, weil natürlich Journalisten selber auch alle betroffen sind. Die Redaktionen sind zum Teil auch ausgedünnt und es sind Leute im Home Office oder sie sind vielleicht sogar infiziert und können deswegen nicht arbeiten. Journalistische Arbeit und Redaktionsalltag haben sich ja auch verändert durch die Krise. Und nicht nur, dass die Zeitungen dünner werden, sondern eben auch die Kommunikation in den Redaktionen ist eine ganz andere, wenn man sich nicht mehr auf dem Flur trifft, sondern wenn man alles nur noch in der Telefon- oder Videokonferenz macht. Man kann zum Teil auch auf Recherchen nicht mehr raus - jedenfalls nicht so ungehindert - man kann sich nicht einfach für Hintergrundgespräche treffen, man kann sich nicht einfach zum Interview verabreden - und wenn, dann muss man es unter den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen machen. Also ich denke, die Journalisten spüren das Thema am eigenen Leib, im wahrsten Sinne des Wortes, auch privat in den Familien. Und von daher, glaube ich, kommt auch dieser - nach meiner Einschätzung jedenfalls - erstaunlich seriöse Umgang mit dieser Thematik.

Lehren aus der Flüchtlingskrise 2015

Beate Winterer: 2015 in der Flüchtlingskrise - oder im Nachgang der Flüchtlingskrise - wurden die Medien stark kritisiert, dass sie zum einen sehr unkritisch der Regierungspolitik gefolgt sind und auch diese Willkommenskultur sehr propagiert haben, ohne das zu hinterfragen. Aber später ja auch manche Medien auf den Zug der Populisten zum Teil aufgesprungen sind. Ich habe ein bisschen das Gefühl, die Medien hätten aus der Zeit auch was gelernt und würden jetzt zum Teil auch ganz bewusst in dieser Krisensituation wieder versuchen, mehr ihren Aufgaben nachzukommen. Geht dir das auch so?

Michael Schröder: Das ist auch mein Eindruck, wobei die Themen natürlich sehr unterschiedlich und eigentlich auch nicht zu vergleichen sind. Ich habe nicht den Eindruck, dass man im positiven oder im negativen Sinn irgendwo über das Ziel hinausschießt. Man kann vielleicht mal die Frage stellen, ob jeden Tag die Sondersendung unbedingt erforderlich ist. Ob es wirklich etwas Neues gibt, das dann 15, 20 oder 30 Minuten Sendezeit nach der Tagesschau rechtfertigt. Da ist natürlich dann auch immer die Gefahr, dass irgendwann in der Bevölkerung es umkippt und gesagt wird: "Nun haben wir aber wirklich genug davon und wir wollen lieber mal einen Krimi schauen." Den gibt es ja auch noch, aber nicht gleich nach der Tagesschau. Dass man da aufpassen muss, dass es nicht so einen Overflow gibt und die Leute dann irgendwann doch sagen: "Also jetzt reicht es auch." Aber in den ersten Wochen, insbesondere jetzt in der zweiten Märzhälfte, hatte ich den Eindruck, dass das gut dosiert war und dass das Bedürfnis auch da war. Die Zahlen haben es auch gezeigt, dass es dieses Informationsbedürfnis gibt. Und eine andere Zahl, an der man auch absehen kann, wie sich Journalismus verändert: Die dpa hat im März - also auf dem Höhepunkt, oder dem Beginn, als wir es in Deutschland so richtig gespürt haben - über 240 Eilmeldungen abgesetzt. Das sind doppelt so viele wie im März des Vorjahres! Zwei Drittel dieser 240 Eilmeldungen waren Corona-Themen. Also daran sieht man natürlich auch, dass eine Nachrichtenagentur an diesem Thema nicht vorbeikann und es immer wieder thematisiert - und wenn die Agenturen das machen, dann müssen das die Zweitmedien sozusagen irgendwann auch machen.

Beate Winterer: Und es gibt ja gerade auch wenige andere Themen, es passiert ja nicht so viel.

Michael Schröder: Ja gut, ich meine, die Themen, die uns in den letzten Wochen davor beschäftig haben, sind ja deswegen nicht vom Tisch. Das ist auch so ein Problem der Medienberichterstattung, dass man Platz und Sendezeit - noch dazu, wenn Platz in Zeitungen knapper wird - nur noch für ein - oder vorwiegend für ein - Thema verwendet und nicht darauf guckt: Was ist eigentlich mit Klima? Was ist mit Flüchtlingen in Griechenland? Die Themen haben sich ja nicht erledigt. Auch die Führungskrise der CDU ist nicht erledigt, aber von Parteitagen redet im Moment niemand, weil man sie nicht abhalten darf. Also man kann natürlich auch im Windschatten dieser Krise auch Themen unter den Teppich kehren - und da müssen Journalisten aufpassen, dass das nicht passiert.

Journalismus nach Corona

Beate Winterer: Wie, denkst du denn, geht es weiter mit dem Journalismus? Meinst du, Corona hat - jetzt mal abgesehen von vielleicht der Konzentration mancher Verlagshäuser - auch einen Einfluss darauf, wie Journalismus - gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk - sich in den nächsten Jahren in Deutschland entwickeln wird? Oder ist das eine Phase und die geht auch wieder vorbei und dann geht es auch irgendwann wieder alles in seinen gewohnten...

Michael Schröder: ... Also ich hoffe nicht, dass es so kommt und dass man sozusagen auch in einen Routine-Alltagstrott zurückkommt. Sondern dass man bestimmte Tugenden, die man jetzt auch zum Teil wiederentdeckt hat - was im Informationsbereich möglich ist, auch was mit digitaler Unterstützung möglich ist, was an völlig neuen Formaten möglich ist - dass davon einiges auch bewahrt und übernommen wird und überlebt. Denn da ist viel Kreativität dabei - zum Teil aus der Not geboren. Aber man muss sich dann schon überlegen, ob das ein oder andere nicht sozusagen eine dauerhafte Lebensdauer haben könnte. Ich würde sagen, es ist aller Anstrengung wert, dass man versucht, auf diesem Niveau, auf diesem Level, zu bleiben. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Aber gerade in der politischen Diskussion um gebührenfinanzierten Rundfunk beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wäre es schön, wenn man sozusagen seine alten Tugenden wiederentdeckt und auch weiterbringt.

Beate Winterer: Das finde ich auch. Und ich finde auch, das ist ein schönes Schlusswort. Michael, ich möchte mich bei dir bedanken. Ich möchte mich auch bedanken bei allen, die uns zugehört haben - jetzt schon zum dritten Mal in unserem Podcast. Wenn es Ihnen gefallen hat, dann würden wir uns freuen, wenn sie unseren Podcast abonnieren und auch beim nächsten Mal wieder dabei sind, bei Akademie fürs Ohr. Bis bald.

Kontakt
Weitere News

Die Macht der Parole
So wirkt Sprache auf Proteste, Diskurse und Identitäten


Mit den Userinnen und Usern auf Augenhöhe
Was Lokalmedien von guter Wissenschaftskommunikation lernen können


Russische Propaganda und Desinformation
Zwischen Staatsfunk und Internet-Trollen


Neue Formate für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Akademie-Tagung entwickelt Sendungen und Tools für die Zukunft


So gelingt die investigative Recherche
Nachwuchsreporter lernen von Profis


Medien in der Corona-Pandemie
Symposium zum Abschied unseres Dozenten Michael Schröder