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Wir sind das Volk!

Joachim Gauck beim Akademiegespräch zur Friedlichen Revolution

Joachim Gauck war einer von Millionen Ostdeutschen, die 1989 mit friedlichen Protesten die Mauer zu Fall brachten und das Ende der DDR und die Deutsche Einheit anstießen. Beim Akademiegespräch am See erinnert sich der ehemalige Bundespräsident mit mehr als 200 Gästen in der Akademie für Politische Bildung an den Wendeherbst.

Tutzing / Tagungsbericht Akademie-Gespräch / Online seit: 29.09.2019

Von: Beate Winterer / Foto: Natalie Weise

Programm: 1949 - 1989 - 2019

Tagungsbericht "1949 - 1989 - 2019"

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Wir sind das Volk! Wenn es nach Joachim Gauck geht, der schönste Satz der deutschen Geschichte. "Die Leute sind damals nicht mehr ihren Ängsten gefolgt. Sogar Mecklenburger sind auf die Straße gegangen. Und wir haben die Ermächtigung gespürt bis in unsere Herzen hinein", erinnert sich der ehemalige Bundespräsident an den Herbst 1989. Damals kämpfte er als Pfarrer in der Rostocker Marienkirche für die Freiheit und läutete gemeinsam mit Millionen anderer Demonstranten das Ende der DDR ein. Beim Akademiegespräch am See hat er in der Akademie für Politische Bildung im Rahmen der Tagung "1949 - 1989 - 2019" vor mehr als 200 Gästen auf das Wendejahr zurückgeblickt.

Ohnmacht war Alltag in der DDR

"Es war überraschend, dass die Leute 1989 die Nase voll hatten", sagt Gauck. In den Jahrzehnten zuvor hätte die Ohnmacht zum Alltag eines DDR-Bürgers gehört. "Die Angst gebietet dir, rechtzeitig zu schweigen und dich anzupassen. Das Volk spielte keine Rolle." Das Gefühl, als sich dies 1989 plötzlich veränderte beschreibt er so: "Der Tag, an dem die Freiheit kam, war ein viel schönerer als der, an dem ich zum Bundespräsidenten gewählt wurde - und der war schon verdammt toll."

Stoppschild gegen Rechtsextreme

30 Jahre später will er seine ostdeutschen Mitbürger daran erinnern, was sie mit ihrer Botschaft "Wir sind das Volk!" angestoßen haben: ein Programm der Erwachsenen, die sagen: "Wir sind Bürger. Wer ist mehr?". Sie sollten es nicht hinnehmen, dass ihr Satz von Politikern am rechten Rand okkupiert wird, von "Volksverführern, Volksverdummern und Retro-Politikern, die so tun, als müssten sie die Einheit vollenden". Für seinen Aufruf gegenüber Rechtsextremen und der AfD, die er kein einziges Mal in seiner Rede beim Namen nennt, ein Stoppschild zu setzen ernetet er Applaus im ganzen Saal. "Wir müssen ihnen sagen: Ihr nicht! Niemals!", bekräftigt Gauck.

Die Furcht vor der Freiheit

Dass viele Ostdeutsche sich heute vom Westen gegängelt und fremdregiert fühlen, liege auch an der "Furcht vor der Freiheit". Die Jahrzehnte der Diktatur würfen auch heute noch ihre Schatten auf das Land und hinderten Menschen daran, selbst Verantwortung zu übernehmen. "Hast du dich gemeldet, als es darum ging Bürgermeister zu werden?", fragt er Menschen, die sich über Westdeutsche und Ex-Parteifunktionäre in öffentlichen Ämtern beschweren. "Ich habe auch nicht gelernt, die Stasi-Unterlagen-Behörde zu leiten. Ich bin Pastor", sagt Gauck und warnt davor, die Rolle des Citoyens - eines seiner Lieblingswörter - gegen die des Kunden zu tauschen. Sich zu beschweren sei einfach, selbst zu gestalten und im Interesse der Allgemeinheit zu handeln hingegen schwierig. Das habe er 1990 als Abgeordneter der Volkskammer selbst gemerkt. Beim Aufbau demokratischer Institutionen war er froh über die Hilfe aus dem Westen - von Leuten die wussten wie der Rechtsstaat funktioniert. "Ich bin dankbar, dass Sie mich nicht mit den Ossis alleingelassen haben", scherzt er Richtung Publikum.

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Akademiegespräch am See mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck: 30 Jahre Friedliche Revolution

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