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Ethische Orientierungssuche im Digitalen

Wie sieht eine zeitgemäße Medienethik aus?

Die digitale Transformation des Journalismus macht auch vor der Medienwissenschaft nicht Halt. Auf unserer Tagung an der Macromedia Hochschule in Köln wurden die bisherigen Modelle und Konzepte auf den Prüfstand gestellt. Notwendige Erweiterungen einer digitalen Medienethik wurden diskutiert.

Köln / Tagungsbericht / Online seit: 25.02.2019

Von: / Foto: Dr. Michael Schröder

Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Der niederländische Medienwissenschaftler und Netzkritiker Geert Lovink sieht nach den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden und dem Skandal um die heimliche Zusammenarbeit von Facebook und Cambridge Analytica einen großen Vertrauensverlust gegenüber dem Netz. Er stellt aber auch fest: "Es gibt noch keine Alternative" und fragt: "Wie lautet die europäische Antwort? Das ist die große Herausforderung der nächsten Jahre." Es könne nicht sein, dass "wir immer nur versuchen, die Produkte der großen multinationalen Konzerne zu regulieren." Lovink erkennt besonders bei der jüngeren Generation eine "programmierte Traurigkeit" durch Social Media: "Immer dabei und online sein, hält doch keiner aus. Das muss zum Zusammenbruch führen." Man schalte das Smartphone nicht gelegentlich an wie früher den Fernseher. "Man muss ständig Lebenszeichen von sich geben: Ich bin noch da. Das Handy ist ein Teil des Körpers geworden."

Digitale Souveränität

Deshalb fordert der Erlanger Medienethiker Christian Schicha auch "mehr digitale Souveränität". Damit meint er auch Datensouveränität, also die Fähigkeit, informiert und selbstbestimmt zu entscheiden, wie und von wem Informationen über die eigene Person erhoben, verarbeitet und weitergegeben werden: "Der Autonomiebegriff ist ein elementarer – vielleicht der zentralste – Fixpunkt für eine medienethische Auseinandersetzung mit der digitalen Revolution." Politisches Handeln müsse sich gegen einen technologischen Determinismus wenden: "Nicht die Technologie legt unseren Handlungsraum fest, sondern wir." Deshalb seien digitale Mündigkeit und Bildung von großer Bedeutung.

"Community-Hijacker"

Mit streitbaren Thesen kam der in der Schweiz tätige deutsche Journalist und Berater Hansi Voigt (Chefredaktor des Jahres 2012 und 2014) nach Köln: Nicht der Journalismus, sondern die Verleger hätten ein Problem: "Wir müssen die bestehenden Informationssilos überwinden." Damit meint er Verlage und "Community-Hijacker" wie Facebook und Co. "Informationen sind heute ein Massengut. Wer sie verkaufen will, hat keine Zukunft." Ihre Wertigkeit tendiere gegen Null. Neu hingegen sei die "Aufmerksamkeitsknappheit". Die Zukunft eines Geschäftsmodells für Medien liege in der Identifikation des Publikums mit ihnen. "Ich verkaufe keine Abos mehr, sondern einen Club-Beitrag zur Unterstützung eines Mediums. Gemeinnützige Vereine oder Genossenschaften seien Trägermodelle der Zukunft. Es gelte das "open-source-Prinzip": Alles für alle.

Bedarf an ethischen Fragen

Der Arzt und Jurist Rainer Erlinger ist durch seine über 800 Ethik-Kolumnen im Magazin der Süddeutschen Zeitung einem breiten Publikum bekannt geworden. Die Resonanz war überwältigend: "Wir hatten in der Redaktion insgesamt sicher über 10.000 Fragen von Lesern zu ethischen Fragen. Offenbar gibt es einen großen Bedarf an diesen Themen." Ihm war nie seine persönliche Entscheidung am Ende der Kolumne das Wichtigste: "Mir ging es immer um die Überlegungen auf dem Weg dahin." Auch er habe sich mit Hasskommentaren zu seinen Texten auseinander setzen müssen. Es sei interessant gewesen, dass sich manche der meist männlichen Schreiber nach entsprechender Reaktion Erlingers dann als sehr umgängliche und vernünftige Zeitgenossen erwiesen. "Sie wollten sich offenbar durch ihre verbalen Rempeleien und Beleidigungen nur Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen."

Die Aufgabe Daniel Fienes bei der Rheinischen Post ist es, das Ohr am Puls des Publikums zu haben. Neudeutsch heißt das: audience engagement – also Verbundenheit und Interaktion mit dem Publikum. Seine Aufgabe und die seines Teams ist das Erreichen neuer Zielgruppen – oder noch besser: Relevante Themen aufspüren, von denen das Publikum noch gar nicht weiß, dass sie es interessieren.

Verzerrte Relation

Sonja Schwetje ist nicht nur Chefredakteurin beim privaten Nachrichtensender ntv, der zur RTL Group gehört. Sie ist auch Mitglied der "High Level Group Fake News" der EU-Kommission. Dabei mag sie den Begriff Fake News gar nicht: "Weil es ein Widerspruch in sich ist: Fakes sind keine News." Für sie sind Begriffe wie Manipulation, bewusstes Setzen von Themen – auch wenn sie falsch sind – und gezieltes Zündeln besser geeignet, um das Phänomen zu beschreiben. Schließlich werde der Begriff ja auch von Trump benutzt, um seriöse Medien gezielt als Fälscher herabzusetzen.

Durch Fake News entstünde auch eine verzerrte Relation: "Eine kleine, aber laute Minderheit schätzt sich stärker und mächtiger ein, weil ja scheinbar alle so denken." Dies sei eine große Herausforderung für alle Medien. Die Funktion als Orientierungshelfer sei zentraler denn je. Dafür müsse man immer sauber arbeiten und recherchieren. Dazu gehöre auch eine gute Ausbildung, für die RTL eine eigene Journalistenschule unterhalte. Mittlerweile habe man eigenes Team zur Verifizierung von Inhalten, die aus allen möglichen Quellen – eben auch nichtprofessionellen – in die Redaktionen gelangen.

Vertrauen in Medien

Die High Level Group fordere für die EU klare Regeln für die globalen Plattformen, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Wichtig sei auch die Förderung von Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in allen Altersstufen. Die Ausgangslage in Deutschland sei nicht schlecht: Hier habe man noch ein international vergleichbar hohes Vertrauen in die professionellen Medien. Ziel bleibe die freie, unabhängige Meinungsbildung auf Faktenbasis.

Einen etwas ernüchternden Einblick in die neue Enquete-Kommission des Bundestages zur "Künstlichen Intelligenz (KI)" bot ihr Mitglied, der Münchner Philosoph und Medienethiker Alexander Filipović. Die Arbeit dort sei doch sehr parteilich und fraktionell bestimmt sowie ideologisch aufgeladen und vereinnahmt. Und ausgerechnet die Arbeitsgruppe "KI und Medien" werde von einem Abgeordneten der AfD geleitet.
Generell führte Filipović aus, dass es schwierig sei, ethische Themen im öffentlichen Diskurs zu erklären. Journalisten hätten immer gerne kurze und einfache Antworten auf komplizierte Fragen: "Am liebsten schwarz oder weiß, richtig oder falsch." Das seien andere Erwartungen als in der Wissenschaft. Aber wenn sich der Ethiker öffentlich Gehör verschaffen wolle, könne er sich den Anfragen aus den Medien gegenüber nicht verschließen. Kritisch beurteilte Filipović die Finanzierung des neuen "Instituts für Ethik in der Künstlichen Intelligenz" an der TU München mit 6,6 Millionen Euro durch Facebook. Da müsse die Frage nach der Unabhängigkeit von Forschung erlaubt sein.

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