Die Verrohung der Republik

Wie sich die Streitkultur im Land verändert

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 21.10.2017

Von: Sebastian Meyer

Foto: Pixabay CC0 / eigene Collage

# Gesellschaftlicher Wandel

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Der Ton wird rauer. Hasstiraden, Verunglimpfung und Gewaltandrohung - nicht nur im Netz sind verbale Angriffe alltäglich. Durch Gerüchte, Falschmeldungen und derbe Anfeindungen gegen das sogenannte Establishment wird dieser Wandel beschleunigt. Wie kam es zu dieser Verrohung? Wo liegen die Ursachen? Was kann man tun, um die Qualität des politischen Streits zu verbessern? Eine Tagung in Zusammenarbeit mit der Petra-Kelly-Stiftung.


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Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Mit dem Galgen gegen Spitzenpolitiker, mit dem Stinkefinger gegen das Pack. Zwar waren auch früher die politischen Auseinandersetzungen nicht gerade handzahm - die heutigen Begrifflichkeiten wiegen jedoch schwerer und verleihen dem politischen Diskurs ein neues Format.

Populismus ist kontextabhängig

Ob allein der Aufschwung von populistischen Strömungen für diesen Wandel verantwortlich gemacht werden kann, klärt Politikwissenschaftler Simon Franzmann: "Entgegen vieler Behauptungen: die Links-Rechts-Skala funktioniert noch". 85 Prozent der Bevölkerung könnten die Begrifflichkeiten einschätzen und ordnen, "das ist wesentlich höher als die Wahlbeteiligung". Es ist ein Loch rechts der Mitte entstanden - und damit könne (Rechts-)Populismus anhand von gesellschaftlichen Konfliktlinien erklärt werden. Aus verschiedenen Blickwinkeln erscheinen politische Äußerungen daher mal populistisch, mal traditionsbewusst. Populismus ist daher grundsätzlich nichts Verwerfliches, eher ein Korrektiv für das Vergessen größerer Bevölkerungsgruppen, und der härtere Ton somit Stilmittel des Gehört-Werdens.

Bildung schützt die Demokratie

Das Vermeiden von Hass beginnt mit Bildung, unterstreicht Fritz Schäffer vom Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnernverband. Er fordert, dass in Schulen mehr "Demokratie gelebt werden muss", um die Teilhabe am politischen System zu fördern. Durch Schülerparlamente, Klassenräte, die Beteiligung der Schüler bei Entscheidungen werde das Bewusstsein für Entscheidungsprozesse geschärft. Das führt bei jungen Leuten zur Erkenntnis: Mitgestaltung kann nur im vernünftigen Diskurs funktionieren, nicht durch Hass und Zorn.

Don't feed the troll!?!

Journalistin Karolin Schwarz (CORRECTIV) präsentiert technische Mittel, um mögliche Falschmeldungen zu überprüfen. Mit Hilfe der Google-Rückwärtssuche oder des Amnesty Dataviewer sind kuriose Meldungen schnell als Fakes zu erkennen. Wie aber hat die Zivilgesellschaft auf den Hass im Netz zu reagieren? Man darf den Trollen keine Narrenfreiheit geben und muss den Provokateuren Einhalt gebieten. Dieses Konzept funktioniert nicht immer mit ernsthafter Debattenführung - daher ist Politikwissenschaftlerin Nora Fritzsche überzeugt: ,,Man muss aktiv werden, zur Not mit Humor, und Kreativität!". Inspirierende Vorbilder sind für sie: hasshilft.de, Hate-Poetry oder das NoHate Speach Movement.

Streiten mit Niveau

Psychologe und Soziologe Christian Boeser-Schnebel hält fest: "In freien Gesellschaften hat keiner die Deutungshoheit". Streiten ist immer, nicht nur im politischen Diskurs, ein Spagat zwischen Rechthaben und einer selbstgerechten Haltung. Demzufolge sind Stammtischparolen und Zorn kein Label für die Unfähigkeit von Auseinandersetzungen des Gegenüber. Es geht immer um die Haltung der Person hinter ihren Äußerungen. Wenn eine Bereitschaft besteht, das Schwarz-Weiß-Denken zu überwinden, können populistische Aussagen gezähmt werden und der Umgang verbessert sich rasch. Für einen Diskurs auf Augenhöhe muss der Zweifel an der eigenen Position wenigstens für einen kleinen Moment zugelassen werden. Nur so kann die argumentative Auseinandersetzung beginnen.


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