Starkes Europa, gutes Europa

Gerhard Schröder spricht zum Europatag / 500 Gäste sehen den ehemaligen Bundeskanzler

München / Tagungsbericht / Online seit: 12.05.2017

Von: Sebastian Haas

# Europa, USA, Osteuropa und Russland

Warum ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich überlebenswichtig für die Europäische Union ist, wie der Euro zur Weltwährung werden und wie sich Europa gegen China und die USA behaupten kann – das waren die Themen Gerhard Schröders bei unserer Veranstaltung zum Europatag 2017 in der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. Der ehemalige Bundeskanzler gab sich mal als diplomatischer Elder Statesman, mal als Mann klarer Worte, vor allem aber gut gelaunt.


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Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Nur einmal merkt man Gerhard Schröder an, dass er es noch viel länger in der ersten Reihe der bundesdeutschen Politik ausgehalten hätte: Als er in der Fragerunde – und ebenso zu Beginn der Veranstaltung beim Grußwort des ehemaligen Bundesfinanzministers und CSU-Vorsitzenden Theo Waigel – für die Agenda 2010 gelobt wird, beschreibt er diese als unausweichliche und schmerzhafte Reform, die viele Arbeitsplätze geschaffen, „aber mich den Job gekostet hat". Zu politischer Führung gehöre es eben auch, wichtige Reformen ohne Rücksicht auf Wählerstimmen durchzusetzen.

Frankreich und Deutschland sollen vorangehen

Politische Führung ist auch das, was Gerhard Schröder – zumal am Europatag, dem 9. Mai – in der und für die Europäische Union erwartet. „Führung heißt nicht bevormunden, sondern kompromissfähige Lösungen finden. Es wäre ein schwerer Fehler, dabei die europäischen Partner zu vernachlässigen, sie sind alle wichtig, und sie erwarten Vorschläge von uns." Uns, damit meint Schröder das Zweiergespann Deutschland-Frankreich, also Merkel (bzw. lieber Schulz?) und Macron, das nach den Bundestagswahlen eine gemeinsame Initiative zur europäischen Integration vorlegen müsse.

Forderungen an Europa

Doch wie kann die aussehen? Schröder steht ein für ein Europa der flexiblen Integration, mit den Staaten der Eurozone als Zentrum, der übrigen Europäischen Union drumherum und zusätzlich enge Kooperationen und Assoziierungsabkommen mit Nachbarstaaten wie Russland, der Türkei („nur durch Kooperation und Dialog mit ihnen können stabile Verhältnisse in Nahost, Kaukasus und Nordafrika entstehen") und bald auch Großbritannien. Hier gelte es in den Brexit-Verhandlungen hart zu bleiben, vor allem, um weiteren EU-Skeptikern zu zeigen, dass ein Austritt herbe finanzielle Verluste bedeute („we want our money back"). Dass es überhaupt zum Brexit kommen konnte, wirft Schröder dem britischen Ex-Premier David Cameron vor. Mit dem Referendum habe er die Existenz des Vereinigten Königreiches aufs Spiel gesetzt, diese sei noch nicht wieder gesichert, das alles sei „größtmögliches Politikversagen".

  • Mehr Europa erhofft sich der Bundeskanzler der Jahre 1998 bis 2005 in „zentralen politischen Fragen": Eine koordinierte Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Eurozone, um den Euro als dritte Weltwährung neben dem US-Dollar und dem chinesischen Yuan zu positionieren.
  • Mehr Verantwortung der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik, was aber nicht bedeuten soll, die proklamierten zwei Prozent der Länderhaushalte in Verteidigungsausgaben zu investieren („das ist ein Richtwert, keine Verpflichtung, wir brauchen keine Aufrüstungsdebatte").
  • Eine effektivere Kooperation zur Sicherung der europäischen Außengrenzen. Einerseits dürfe sich „der Kontrollverlust des Jahres 2015 nicht wiederholen", andererseits bemesse sich Humanität „nicht an der Offenheit einer Grenze, sondern an der Hilfe für Bedürftige in der ganzen Welt".
  • Für all das benötigt es einen europäischen Außenminister.

Geeintes Auftreten Europas gegenüber den USA

Dazu kommt das unsichere Verhältnis zu den USA unter Präsident Donald Trump. „Populismus und Ausgrenzung dürfen nicht Teil der europäischen Politik werden", erklärt Gerhard Schröder, und zeigt sich zuversichtlich: die politischen Institutionen der und die Berater in den Vereinigten Staaten werden den Präsidenten einhegen – das habe schließlich auch bei Ronald Reagan funktioniert, „ein Schauspieler, der in der Außenpolitik ein erfolgreicher Präsident geworden ist". Für Europa gehe es vor allem darum, endlich seine Sicherheitsarchitektur dem Ende der Bipolarität nach dem Fall des Eisernen Vorhangs anzupassen, geeint und stark nach außen aufzutreten und so zu verhindern, dass sich sowohl die USA als auch Russland und die Türkei nur noch in Richtung China orientieren.

„America First? Neue Herausforderungen und Chancen für Europa" – den Abend mit Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder hat die Akademie für Politische Bildung gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern veranstaltet: der Münchner Europa Konferenz, der IHK für München und Oberbayern (wir danken für die Gastfreundschaft), der Griechischen Akademie, dem Internationalen Presseclub München und Botschafter a.D. Michael Steiner. Gruß- und einleitende Worte sprachen der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel, der Präsident der IHK München und Oberbayern Dr. Eberhard Sasse und Michael Steiner – von 1998 bis 2001 außen- und sicherheitspolitischer Berater Gerhard Schröders.

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