Integration durch Medien – ein Auslaufmodell?

Journalisten und Medienwissenschaftler im Dialog über Medienethik

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 22.02.2017

Von: Michael Schröder

Foto: APB Tutzing

# Medien, Digitalisierung, Medienethik

Download: Integration durch Medien - Aufgabe oder Auslaufmodell?

Es war einmal – da galt Integration als eine der wichtigsten Aufgaben der Massenmedien. In einer demokratischen Gesellschaft hätten sie „integrierende Funktionen für das Staatsganze“ – so das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 1971. Heute, im Zeitalter der Digitalisierung, haben wir es dagegen mit der Auflösung medialer Akteure zu tun. Filterblasenbildung, Kommunikation in Echokammern, Hass im Netz und Spaltung der Gesellschaft – Integration scheint eher ein Auslaufmodell zu sein.


Der Medienethiker Alexander Filipović von der Hochschule für Philosophie München lieferte zum Einstieg in die Fachtagung, die zusammen mit der DGPuK-Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik und dem Netzwerk Medienethik organisiert wurde, eine Begriffsklärung: Integration sei der erwünschte soziale Prozess, der die Teile einer Gesellschaft zu einem Ganzen verbinde. Dabei seien durchaus Ähnlichkeit und Einigkeit auf der einen, aber eben auch Verschiedenheit und Auseinandersetzung auf der anderen Seite möglich. Integration bedeute eben nicht Gleichschaltung und Homogenität. Eine zu 100 Prozent integrierte Gesellschaft sei eine totalitäre Gesellschaft, ergänzte Michael Schröder von der Tutzinger Akademie. Aber ohne ein Mindestmaß an Konsens und gemeinsamer Grundwerte gehe es eben auch nicht. Nur eine integrierte Gesellschaft sei zur Integration fähig. Filipović weiter: „Das Gemeinsame soll in besonderer Weise Berücksichtigung finden. Neben privaten sollen auch gemeinsame, öffentliche Interessen Maßstäbe des Handelns sein.“

Transparenz nötig

Steffen Jenter ist Politikchef beim Hörfunk des Bayerischen Rundfunks und sieht keine besondere Aufgabe der Journalisten beim Flüchtlingsthema. Sie sollten sich nicht zum Instrument einseitiger Interessen machen lassen – weder von Flüchtlingshelfern, noch von extremistischen Ausländerfeinden. Professionelle, umfassende und transparente Berichterstattung ohne Tabus sei gefragt und nötig. Sie helfe am besten gegen den „Lügenpresse“-Vorwurf.
Man müsse sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, vor der Flüchtlingskrise („Wie verwenden wir Begriffe? Ist es wirklich eine Krise?“) zu wenig über die Herkunftsländer berichtet zu haben. Und angesichts der Menschenmassen an den Grenzen und auf den Bahnhöfen im Sommer 2015 hätten auch Journalisten die „Willkommenskultur“ etwas übertrieben und zu wenig kritische Fragen gestellt: „Es gab einen positiven Mainstream. Nur FAZ und Welt machten gelegentlich eine Ausnahme.“ Nach der Kölner Silvesternacht seien die Berichte dann in ein anderes Extrem umgeschlagen. Die Debatten wurden hitziger. Heute ginge es beim Thema vor allem um Abschiebung.

Herkunft von Straftätern

Transparenz beim Umgang mit der Nennung der Herkunft mutmaßlicher Straftäter forderte der Wiener Medienethiker Tobias Eberwein: „Journalisten müssen erklären, warum sie es so und nicht anders machen.“ Wenn die Herkunft nur in Ausnahmefällen genannt werde, widerspreche das der journalistischen Pflicht zur Publizität. Jenter sprach sich dagegen für eine Einzelfallprüfung aus: „Ist die Nennung für das Verständnis nötig oder nicht?“

Personalisierte Wahlkampfwerbung

Beobachtungen aus dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA lieferten der Medienprofessor Bernhard Debatin (Ohio) und Rieke Havertz, Chefin vom Dienst bei ZEIT online. Sie hatte während des Wahlkampfes aus den USA berichtet.
Debatin erläuterte, dass zwei Drittel des Wahlkampfetats von Trump in social media geflossen sein. Positive, zielgenaue Nachrichten für die eigenen Anhänger seien dort produziert worden – ohne Rücksicht auf Wahrheit und Fakten. Trump-Fans hätten sich fast nur noch über ihre „Freunde“ in sozialen Netzwerken informiert, nicht mehr über journalistisch-professionelle Medien. So sei die Verbreitung von Gerüchten und Verschwörungstheorien rasend schnell in Gang gekommen.

Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das Trump uns hinhält.
Rieke Havertz, Chefin vom Dienst bei ZEIT online

Düstere Szenarien

Debatins Zukunftsszenarien sind düster: Nach einer mehrjährigen Amtszeit Trumps könnte professioneller Journalismus zum Randphänomen werden. Journalisten würden zunehmend diskreditiert und ihnen der Krieg erklärt. Der Auslandssender Voice of America könnte zum Staatsrundfunk im Inneren ausgebaut werden. Und nach möglichen Terroranschlägen könnte sogar der Ausnahmezustand verhängt und die Medienfreiheit eingeschränkt werden. Journalisten würden dann als „unpatriotische Verbündete des Terrorismus“ an den Pranger gestellt. Im Weißen Haus sei eine Clique rechtsradikaler Ideologen am Werk, die gezielt eine Strategie verfolgen. Die Etablierung des Führerprinzips sei zu beobachten. Kritik werde als Illoyalität und Verrat am Führer gesehen. Erste Entlassungen nach wenigen Tagen Amtszeit belegten dies.

Filterblasen und Echokammern

Rieke Havertz fragt sich fast täglich, ob sie und andere Journalisten zwangsläufig zum Lautsprecher Trumps werden müssen, indem sie die täglichen Tweets verbreiten. Nein – sagt sie. Die Redaktionen müssten einordnen, den Faktencheck liefern, kommentieren: „Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das Trump uns hinhält.“ Journalisten seien keine Aktivisten – weder für die eine noch für die andere Richtung. Jede Meldung müsse professionell auf ihre Relevanz geprüft werden. Havertz ist aber auch Realistin: „Die Hälfte des Publikums erreichen wir gar nicht mehr – die sitzen in ihren Filterblasen und Echokammern.“

Konzentration auf K-Themen

Janis Brinkmann und Carina Zappe von der TU Dortmund haben die Berichte über Migration in Online-Ausgaben europäischer und afrikanischer Zeitungen untersucht. Ihr Fazit: In europäischen Redaktionen gibt es nach wie vor eine Konzentration auf Eliten und eine Europa-Zentrierung der Berichterstattung, während Afrika marginalisert wird. Auch wenn es um Migration aus Afrika geht, kommen afrikanische Akteure und Länder kaum vor. Carina Zappe sagt: „Der Fokus richtet sich immer noch auf die K-Themen: Konflikte, Krisen, Katastrophen, Korruption und Kriege.“ Oder wie es der schwedische Schriftsteller und Afrika-Kenner Henning Mankell beschrieb: „Wir erfahren wie die Afrikaner sterben, aber nicht wie sie leben.“


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