Katar: Strategischer Partner oder destabilisierende Kraft?

Podiumsdiskussion zur Rolle des Emirats für die Stabilität im Mittleren Osten

München / Tagungsbericht / Online seit: 07.08.2017

Von: Sara Borasio

Foto: Wolf

# USA, Naher und Mittlerer Osten, Sicherheitspolitik und Terrorismus

Download: Qatar. Strategic Partner or Destabilizing Force?

Im Juni 2017 brachen Saudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar ab und verhängten eine Verkehrs- und Handelsblockade. Vor dem Hintergrund dieser diplomatischen Krise in der Golfregion organisierte die Akademie gemeinsam mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Middle East and International Affairs Research Group (MEIA Research) eine Gesprächsrunde zur Frage „Ist Katar ein strategischer Partner oder eine destabilisierende Kraft?".


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Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Es diskutierten Michael Bauer, stellvertretender Vorsitzender von MEIA Research; Gudrun Harrer, leitende Redakteurin Der Standard und ehemalige Sondergesandte des österreichischen EU-Vorsitzes in Irak; Jörg Kunze, Kursleiter des George C. Marshall European Center for Security Studies und David B. Roberts, Assistenzprofessor am King's College London.

Ursachen für die diplomatische Krise

Seit seiner Unabhängigkeit 1971 stellte sich für das Golfemirat stets die Frage nach der Gewährleistung von Sicherheit, sowohl nach innen, als auch nach außen. Emir Chalifa bin Hamad Al Thani setzte eine eher stille und zurückhaltende Außenpolitik Katars um, den Schutz des großen Nachbarn Saudi Arabiens suchend. Mit der Machtübernahme seines Sohnes änderte sich diese Gangart. Für Hamad bin Chalifa Al Thani sei es fortan wichtig gewesen, internationales Ansehen für das Emirat zu erreichen und bessere internationale Beziehungen aufzubauen. Mit gutem Erfolg: Katar hat in den letzten Jahrzehnten erheblichen wirtschaftlichen, politischen, medien- und kulturellen Einfluss gewonnen.

Doch genau diese Außenpolitik habe die Beziehungen zwischen Katar und Saudi Arabien massiv verschlechtert. Das Golfemirat setzte sich gegen die Versuche Saudi Arabiens, Katar in seine zurückhaltende Rolle zurück zu drängen, zur Wehr. Unter anderem stärkte es seine mediale Präsenz durch Al Jazeera. Das Netzwerk sei das erste gewesen, welches kritisch über Saudi Arabien berichtete. Mit Folgen für Katar: 2002 zog Saudi Arabien seinen Botschafter aus Doha zurück und besetzte die Position erst 2008 und unter der Bedingung neu, dass Al Jazeera seine kritische Berichterstattung gegenüber Saudi Arabien änderte. 2014 zogen erneut Saudi Arabien, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain ihre Botschafter aus Katar zurück. Dieser Schritt wurde erst rückgängig gemacht, als Katar nach längeren Verhandlungen einige Mitglieder der Muslim-Bruderschaft aus dem Land verbannte.

Vor diesem Hintergrund sei auch die gegenwärtige diplomatische Krise einzuordnen: Saudi Arabien werfe Katar vor, sich nicht an die Abmachungen von 2014 zu halten. Auch im Golfemirat selbst wachse das Misstrauen gegenüber dem mächtigen Nachbarstaat: So habe der Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump den Eindruck erweckt, Saudi Arabien könne in der Region tun, was es wolle. Die Tweets des US-Präsidenten haben in Katar viel Angst ausgelöst und seien zum Teil als „Grünes Licht" für eine Invasion Saudi Arabiens in Katar verstanden worden.

Katars Pragmatismus

Katar sieht sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, islamistische Gruppierungen in der Region zu unterstützen. Dieser pauschale Vorwurf greife jedoch zu kurz. Für Katars Handeln lassen sich durchaus pragmatische Beweggründe identifizieren: Weltweit hat Katar das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Mit dieser ökonomischen Entwicklung wuchs auch das Selbstbewusstsein des Golfemirats. Die Zivilbevölkerung habe aufgrund des eigenen Wohlstands wenig Grund, sich an der Regierung zu reiben oder gar nach einer Demokratisierung des Landes zu streben. Katar ist strategischer Partner der USA; die Al Udeid Air Base militärischer Stützpunkt für die United States Air Force. Katar wiege sich daher in Sicherheit und bedenke aus diesem Grund die potentiellen Auswirkungen seines Handelns eher wenig.

Es verwundere nicht, dass Katar beispielsweise während des Arabischen Frühlings die Möglichkeit sah, sich regional stärker zu positionieren. Allerdings fehle dem kleinen Land Personal und Erfahrung, sich strategisch gut aufzustellen. Aus diesem Grund etwa sei Ali al-Sallabi, geistliches Oberhaupt der internationalen Muslimbruderschaft, während der Arabischen Revolution nur deshalb unterstützt worden, weil er für eine Zusammenarbeit direkt verfügbar war.

Menschenrechtsverstöße in Katar

Auch das Thema Menschenrechte zeige, wie wichtig dem Golfemirat sein internationales Ansehen sei. Katar bewarb sich für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022, um sich international stärker zu positionieren und zu präsentieren. Doch sei der Versuch, dieses Ziel zu erreichen, zunächst nach hinten losgegangen: Durch die erhöhte Aufmerksamkeit mit Blick auf das Thema Menschenrechte geriet Katar aufgrund der teils sklavenähnlichen Bedingungen für die Gastarbeiter des Landes in Kritik. Durch das existierende Kafala-System, ein spezifisches System der Bürgschaft in den arabischen Golfstaaten, benötigt jeder Arbeitnehmer aus Drittländern einen einheimischen Sponsor, um ein Arbeitsrecht zu erwerben. Gastarbeiter geraten so in eine unkontrollierbare Abhängigkeit.

Zwar führte der erhöhte internationale Druck, die Verstöße gegen die Menschenrechte einzustellen, zu kleinen Reformen des Kafala. Diese seien jedoch nur sehr langsam umzusetzen und scheitern oft am Widerstand der einheimischen Bevölkerung. In einem Land, in dem fast 90 Prozent der Bevölkerung aus Gastarbeitern besteht, sei es nachvollziehbar, dass innerhalb der einheimischen Bevölkerung die Angst wachse, als Minderheit die Kontrolle zu verlieren. Bliebe der internationale Druck auch künftig hoch, seien durchaus weitere Reformen denkbar.

Kommt der Kalte Krieg am Golf?

Tendenzen über die künftige Entwicklung des Golfemirats, den Ausgang der gegenwärtigen diplomatischen Krise oder der Kooperation zwischen Saudi Arabien und Katar abzuleiten, ist schwer. Dennoch wagte das Podium einen Versuch: Die Liste der Golfstaaten und Ägyptens mit dreizehn Forderungen an Katar, so der Konsens, sei schlecht überlegt. Dass Emirat sei von dem Embargo im Juli 2017 vollkommen überrascht gewesen, und das Vertrauen zwischen den Staaten nachhaltig zerstört. Saudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten würden nun vermutlich versuchen, Katar finanziell zu schwächen, was aber bei dem „reichsten Land der Welt" nicht so einfach sei. Die USA könnten versuchen, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten und die Krise zu deeskalieren. Dieser Deeskalation könnte allerdings ein langer Kalter Krieg im Golf folgen. Ohne eine klare Position seitens der US-amerikanischen Regierung sei diese Option allerdings wenig wahrscheinlich.


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