„Sonst gehen bald alle Lichter aus“

Entwicklungsminister Gerd Müller appelliert an Verantwortung der Industriestaaten, Fluchtursachen gemeinsam zu bekämpfen

München / Tagungsbericht / Online seit: 19.04.2016

Von: Sebastian Haas

# Entwicklungspolitik, Migration

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Was ist zu tun? Die Not in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, die an den Grenzen Europas und in den zahlreichen Flüchtlingslagern weltweit ausharren, setzt sich fort. Im Rahmen unseres Jahresempfangs in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank wurde darüber diskutiert, mit welchen Mitteln die Ursachen von Flucht und Migration anzugehen sind. Hauptredner des Abends war der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller.

Diese Zahlen kennt inzwischen jeder, sie sind erschreckend, können aber nicht oft genug wiederholt werden: derzeit sind gut 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, sei es innerhalb ihres Heimatlandes oder außerhalb, Tendenz stark steigend. Kriege und materielle Not in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten sowie ein meist idealisiertes Bild vom Leben in den Industrienationen treiben immer mehr Menschen in Richtung Europa, dabei häufig in den Tod – und in der Folge die Staaten Europas in eine tiefe (migrations-)politische und gesellschaftliche Krise. Das Bevölkerungswachstum verschärft die Migrationsbewegungen weiter: lebten im Jahr 1916 noch 1,9 Milliarden Menschen auf dieser Welt, so waren es 1966 bereits 3,4 Milliarden, so sind es heute 7,4 Milliarden und so werden es 2040 voraussichtlich 10 Milliarden sein.

80 Millionen mehr Menschen pro Jahr

Wenn die Weltbevölkerung also weiter um 80 Millionen Personen jährlich wächst, sind Konflikte um knappe Ressourcen die logische Folge. Den hoch entwickelten Ländern vor allem in Europa obliegt die humanitäre Pflicht, diese Konflikte und die Ursachen von Not, Flucht und Vertreibung zu mindern. Das betonten in ihren Begrüßungsstatements sowohl der Gastgeber unseres Jahresempfangs Alois Müller, Präsident der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank, Hauptveranstalter RA Stavros Kostantinidis, Vorsitzender von Griechischer Akademie und Europa Union München sowie Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch.

Entwicklungszusammenarbeit als Friedenspolitik

Am Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, war es dann, konkrete Schritte zur Bekämpfung von Fluchtursachen zu erläutern. Müller begreift Entwicklungszusammenarbeit als Friedenspolitik – und kritisierte daher die weltweit steigenden Ausgaben für Rüstung und Verteidigung, inzwischen 160 Milliarden Euro jährlich. Nur einen geringen Teil davon in Krisenprävention zu investieren, würde sich viel eher auszahlen. Müller selbst reist regelmäßig in die Flüchtlingslager dieser Welt und hört von nahezu allen, mit denen er dort spricht, einen Wunsch: zurück nach Hause zu gehen. Seine Schlussfolgerung ist daher so einfach wie logisch: man muss den Menschen eine Perspektive in den befriedeten Teilen ihrer Heimat bieten. Und das geht kurz zusammengefasst nur mit „Wasser, Essen, Energie, Jobs“. So setze sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beispielsweise dafür ein,

  • in sicheren Gebieten zum Beispiel des Nordiraks einfache Unterkünfte für Familien aufzubauen, die Müllers Angaben nach lediglich 1000 Euro pro Person kosten.
  • das Überleben in den stark wachsenden Regionen Afrikas zu sichern (auf Sicht werden in Nigeria 450 Millionen Personen leben, schon heute leben in Ägypten fünf Millionen Heranwachsende auf der Straße), beispielsweise durch den geförderten Anbau ertragreicher Reissorten.
  • Partnerschaften zwischen Europa und den Entwicklungsländern im Bildungswesen – für den leichteren Zugang zu Wissen – und im Energiesektor aufzubauen. „Wir müssen die Energiewende so schnell es geht umsetzen und den Partnern Anreize bieten, fossile Brennstoffe nicht einzusetzen. Sonst gehen bald alle Lichter aus“, erläuterte Müller drastisch.
  • internationale Mindeststandards für fairen Handel durchzusetzen, bei dem auch der Anfang der Produktionskette – sei es die Schneiderin in Bangladesch oder der Kaffeebauer in Ecuador – profitiert.

Im Anschluss an Müllers Impuls wurden die Möglichkeiten und Hindernisse bei dem Versuch thematisiert, die Eigenverantwortung und Kräfte zur Selbsthilfe in den Entwicklungsländern zu stärken. Auf dem Podium diskutierten Doris Thurau, Landesdirektorin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG.

"Wir tun das Richtige"

Wegen der oft von Korruption geprägten Strukturen in vielen Entwicklungsländern müssen die hiesige Wirtschaft und Politik dort auf verschiedenen Ebenen agieren; die Kooperationen reichen von der Afrikanischen Union über Nicht-Regierungs-Organisationen und mittelständische Betriebe bis zu kleinen Lösungen vor Ort. Während Fahrenschon und Thurau diesen Ansatz unterstützen („wir tun das Richtige, wir tun es schnell, aber noch zu wenig“), kritisiert Lutz dies als Tropfen auf den heißen Stein. „Wenn die G7, wenn die USA, China und Russland nicht an einem Strang ziehen, hilft all die Hilfe nicht nachhaltig“, sagt er. Am drängendsten müssten gemeinsam Lösungen gefunden werden, um die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern. Denn standen im Jahr 1950 noch 5500 Quadratmeter Anbaufläche zur Verfügung, um einen Menschen zu ernähren, werden es im Jahr 2050 nur noch 1500 sein.

Der Jahresempfang der Akademie für Politische Bildung in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank war eine Kooperation mit der Griechischen Akademie e.V., der Europäischen Akademie Bayern, der Europa Union München e.V., dem Junge Europäer e.V. und der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung e.V. Wir bedanken uns bei den Kooperationspartnern und Sponsoren und danken besonders dem scheidenden Präsidenten der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank, Alois Müller, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren.


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