'Bereitschaft zur Mitwirkung wecken'

Ein Interview zum 80. Geburtstag unseres Kuratoriumsmitglieds Josef Deimer, dem langjährigen Oberbürgermeister von Landshut

Landshut / Aus der Akademie / Online seit: 10.11.2016

Von: Gero Kellermann und Sebastian Haas

Foto: APB Tutzing

# Kommunalpolitik, Gesellschaftlicher Wandel, Bayern, Integration

Seit 1972 ist Josef Deimer, Altoberbürgermeister von Landshut, Mitglied des Kuratoriums der Akademie. Er ist unter anderem Ehrenvorsitzender des Bayerischen Städtetags, Ehrenmitglied des Deutschen Städtetages, Ehrenpräsident des Bayerischen Volkshochschulverbands und Vorsitzender der Lebenshilfe Landshut. Der CSU-Politiker gewann 1966 als jüngster Stimmkreisabgeordneter ein Landtagsmandat und wurde 1969 in seiner Heimatstadt Landshut zum damals jüngsten Oberbürgermeister in der Bundesrepublik gewählt. Nach 35 Dienstjahren als Oberbürgermeister und 30 Jahren als Vorsitzender des Bayerischen Städtetags trat er 2005 in den Ruhestand. Bekannt wurde Deimer unter anderem für seine kontroverse Haltung zur Kernenergie und sein frühzeitiges Eintreten für Ganztagsschulen und Kinderbetreuung. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete ihn als „Giganten der Kommunalpolitik“.


Josef Deimer Landshut Akademie Tutzing

Unser Dozent Dr. Gero Kellermann beim Gespräch mit Josef Deimer (Foto: Haas).

Herr Deimer, welche Rolle spielen die Städte und Gemeinden in der Demokratie, können sie in Zeiten der Individualisierung noch eine kommunale Gemeinschaft herstellen?

Deimer: Die Kommunen spielen eine wesentliche Rolle – als Basis von Demokratie, Selbstverwaltung und Bürgerbeteiligung. Doch bei all den unterschiedlichen Lebenskonzepten eine Gemeinschaft herzustellen, wird tatsächlich immer schwieriger. Aber man hat eben die Verantwortung als Politiker, den Leuten zu sagen, dass sie mitgestalten dürfen. Man muss die Bereitschaft zur Mitwirkung wecken, andererseits aber den individuellen Wünschen der Bürger entgegenkommen.

Was hat sich aus Ihrer Sicht in der Kommunalpolitik in den letzten Jahrzehnten am stärksten verändert?

Deimer: Als ich in den 1960er-Jahren meine politische Karriere begonnen habe, hat man sich noch lange auf ein Mandat vorbereitet, sich politisch gebildet. Es scheint mir, dass heute die zufällige Ansprache von außen genügt, um die personelle Zusammenstellung innerhalb der Parteien zu ändern. Auch die Beliebigkeit des Wechsels nimmt zu: Nach meinen fast 40 Jahren in der Kommunalpolitik sind seit 2005 insgesamt vier Gruppierungen aus der alten Stadtratsfraktion entstanden. Wo bleibt denn da noch die Fähigkeit zum Konsens? Mit einer solchen Zersplitterung erreicht man keine vernünftigen Mehrheiten. Mehr Lesungen, Sitzungen, Diskussionen sind nötig – das ist ein großes Übel.

Was sind für Sie entscheidende Eigenschaften für eine Kommunalpolitikerin oder einen Kommunalpolitiker?

Deimer: Entscheidend ist, die Menschen zu lieben, aktiv und ohne parteipolitisches Kalkül auf sie zuzugehen. Reflektiert sollte man sein und diskret und so Vertrauen aufbauen. Aus einer solchen „aktiven Neutralität“ lassen sich die Leute dann für die eigene politische Richtung gewinnen. Ganz besonders wichtig ist übrigens, nicht nur im Gespräch zu bleiben, sondern sich auch Wissen über die Dinge anzulesen. „Das hast Du Dir doch nur angelesen“, kann kein Vorwurf sein. Denn woher soll die Fachkompetenz auch sonst herkommen?

Was sind zurzeit die größten Herausforderungen für die Kommunalpolitik?

Deimer: Erstens natürlich die Flüchtlingspolitik – und da kann meiner Ansicht nur das Credo der Barmherzigkeit gelten. Zweitens muss in ganz Deutschland wieder mehr in den Sozialen Wohnungsbau investiert werden, die Förderungen dafür sind in den vergangenen 25 Jahren praktisch nur in den Osten gewandert, genossenschaftliche Systeme wurden vernachlässigt. Und drittens benötigt es eine vernünftige Raumplanung: Nur des Mammons wegen die Städte zuzustellen, das genügt nicht; auch der Raum ist Bestandteil der Architektur.

Sie sprechen oftmals von „urbaner Lebensqualität“ und „Stadtökologie“. Was verstehen Sie darunter?

Deimer: Ich beziehe in die Ökologie die Ästhetik einer Stadt mit ein. Das Stadtklima hat nicht nur etwas mit der physikalischen Seite zu tun, es gehören auch ideelle Dinge dazu: die Silhouette nicht zu zerstören, Identität herstellen, Kommunikation zwischen den Bürgern, Teilhabe und ökologisches Verhalten fördern. Außerdem muss der Politik daran gelegen sein, verschämte Armut und unverschämtem Reichtum nicht zuzulassen, die Vielfalt politischer Ansichten und medialer Berichterstattung zu fördern. Also: die Stadt zu einem Ort der Begegnung zu machen.

Die Stadt als Ort der Begegnung bringt uns zu einem weiteren Ihrer Herzensanliegen, der Inklusion. Seit 1971 sind Sie Vorsitzender der Lebenshilfe Landshut. Wie verläuft die Inklusion generell auf kommunaler Ebene?

Deimer: Inklusion muss gelebt werden! Aber die Menschen haben zu viele Berührungsängste. Deshalb sind wir mit der Zentralen Verwaltung der Lebenshilfe Landshut nun ins Herz der Stadt gezogen und haben dort das Café am Dom eröffnet, in dem Menschen mit Behinderung die Gäste bedienen und auch verantwortlich sind fürs Säubern und die Haustechnik.

Sie arbeiten bereits seit langem mit der Akademie in kommunalpolitischen Fragen zusammen. Unter anderem haben Sie mit der Akademie das „Kommunalpolitische Forum“ ins Leben gerufen, ein Bildungs- und Diskussionsforum für kommunalpolitische Entscheidungsträger und -trägerinnen. Welche anderen Ansätze sehen Sie, Kommunalpolitik in der politischen Bildung zur Geltung zu bringen?

Deimer: Grundsätzlich geht es darum zu erklären, wie Exekutive, Judikative und Legislative in der parlamentarischen Demokratie zusammenwirken und welche Grundsätze und Grundgesetze unumstößlich sind. Ohne dieses Vorwissen kann niemand in die Kommunalpolitik. Es genügt nicht, die Gemeindeordnung auswendig zu lernen. Also braucht es gemeinsame Bildungsangebote und Netzwerke, um die unabhängige Meinungsbildung zu fördern.


Weitere Informationen

Porträt der SZ zum 80. Geburtstag von Josef Deimer

Homepage der Lebenshilfe Landshut


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