Unserer Väter, unsere Mütter
Deutsche Generationen im 20. Jahrhundert
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 29.04.2015
Von: Miriam Zerbel und Volker Benkert
# Nationalsozialismus, Zeitgeschichte
Download: Unsere Väter, unsere Mütter. Deutsche Generationen im 20. Jahrhundert
Geschichte erleben wir im historischen Zusammenhang unserer Generation. Die Zäsuren deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert mit Krieg, Völkermord, Teilung und Vereinigung spiegeln sich in den verschiedenen Alterskohorten und werden unterschiedlich rezipiert. Die Teilnehmer der Tagung „Unsere Väter, unsere Mütter“ diskutierten leidenschaftlich, ob Generationen von den Zeitumständen geprägt wurden oder ob Generationen eher spätere Konstrukte sind. Als Konstrukte wären sie dann Identitätsangebote, die auch einen diskursiven Machtanspruch darstellen.
„Warum sind wir eigentlich so sicher zu wissen, zu welcher Generation wir gehören?“, fragte Professor Bernd Weisbrod, Georg-August-Universität Göttingen, in einem der beiden öffentlichen Abendvorträge. Nach seiner Ansicht helfen uns Generationenräume bei der Selbstverortung in unserer Zeitheimat und ermöglichen ein privates Erinnerungsnetz unserer Geschichte. Am Beispiel von Kriegsjugend und Generationenerfahrung zeigte er auf, dass die nicht mehr oder nur kaum zu den Kämpfen herangezogene Jugend des Ersten und Zweiten Weltkriegs weniger durch den nur scheinbar evidenten Charakter der fehlenden Fronterfahrung geprägt wurden, sondern eher durch die Abgrenzung von den als gescheitert angesehenen Vorgängern. „Bei der Generationsbildung geht es immer um Konkurrenz“, sagte der Historiker und verwies darauf, dass die angebliche Erlebnisgemeinschaft eher eine im Nachhinein konstruierte politische Erinnerungsgemeinschaft als Gegenerzählung zu anderen Altersgruppen sei. Urheber dieser Konstruktion waren strategische (meist männliche) Cliquen, die sich zum Kristallisationspunkt einer kulturellen Hegemonie stilisierten.
Bernd Weisbrod griff damit die These von Professor Ulrich Herbert, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, auf, der schon am Vorabend über die Reichweite und kulturelle Hegemonie von Generationskonstruktionen am Beispiel der Wandervögel-Generation, der Hilterjugend- oder Flakhelfergeneration und der 68er sprach. Ausgehend vom der der Tagung ihren Namen gebenden ZDF Miniserie „Unsere Mütter, unsere Väter“ entwickelte er elegant die kulturellen und politischen Diskurse um die Konstruktion dieser Generation. In dieser Lesart erscheinen Generationen als Identitätsangebote, welche kulturelle Trends zuspitzen und somit stilbildend werden ließen.
Konstruktion oder Prägung: Wie entsteht eine Generation?
Viel näher am Begriff der geschichtlichen Prägung von Altersgruppen argumentierte im Gegensatz dazu Dr. Thomas Ahbe, der ein Modell einer Generationenabfolge für die DDR vorlegte. Er zeigte, dass Generationenzugehörigkeit zwar subjektiv, aber eben nicht beliebig sei, da er auf der Vergemeinschaftung von Inhalten und Symbolen beruhe. Insofern bilde dieser Ansatz „Erlebnisschichtung, Erfahrungen und Wertebildung sowie Erwartung und Kalküle“ verschiedener Altersgruppen ab und verdichte diese zu einem Modell. Ganz ähnlich argumentierten auch Andrea Lettrari, Universität Bremen und Christian Nestler, Universität Rostock. Sie benannten Transformationskompetenz als entscheidendes Merkmal der „Wendekinder“, die diese aufgrund ihrer besonderen Erfahrung des Erlebens des Mauerfalls als Kinder und der Transformation Ostdeutschlands nach 1990 erworben haben.
Generation, Familiengedächtnis und Nationalsozialismus
Wie der Nationalsozialismus sich im österreichischen Familiengedächtnis niedergeschlagen hat, referierte Dr. Margit Reiter, von der Universität Wien. Dabei widersprach sie dem Mythos vom Schweigen über die NS-Zeit in Österreich. Sie untersuchte unterschiedliche Tradierungsmuster in Familien für den Zeitraum zwischen 1940 und 1950: Was erzählt sowie erinnert wurde und was nicht und wie darüber gesprochen wurde. Demnach wirkte der offizielle Diskurs, das Land habe zum Unschuldskollektiv gehört und sei erstes Opfer der Nationalsozialisten gewesen, bestätigend auf den narrativen und eher nebenbei geführten Diskurs in den Familien.
Kriegsbedingte Vaterlosigkeit in Ost und West
Dass die essentielle Erfahrung der Vaterlosigkeit einer Generation in Ost- und West-Deutschland nach 1945 unterschiedlich ausgeprägt war, erläuterte Dr. Lu Seegers von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Während Vaterlosigkeit im Westen als Trauma empfunden und als potentielle Gefahr der Verwahrlosung stigmatisiert wurde, war das im Osten weniger der Fall. Die öffentliche Nichtbeachtung des Themas in der DDR war eher dem Blick in die gesamtgesellschaftliche Zukunft und dem politischen Neuanfang geschuldet. Gemeinsam war den Kindern in Ost und West jedoch, dass der tote Vater in der Familie idealisiert wurde.
Der Blick der letzten DDR-Generation auf die braune Vergangenheit
Wie verinnerlichte die letzte DDR-Generation die Diskurse über das nationalsozialistische Erbe und die westdeutschen Strategien der Vergangenheitsbewältigung? Diese Frage beantwortete Tagungsleiter Volker Benkert in seinem Referat auf Grundlage von Interviews mit um 1970 geborenen Ostdeutschen. Da die NS-Vergangenheit weitgehend in den Westen exportiert wurde, erstrahlte der kommunistische Widerstand als Sinnbild für die Viktimisierung der meisten Deutschen unter den Nazis. In diesen offiziellen DDR-Diskurs stiegen die DDR-Jugendlichen zwar nicht ein, fanden sich im westdeutschen Ansatz der Vergangenheitsbewältigung nach 1990 aber auch nicht wieder. Auslandserfahrene junge Ostdeutsche hingegen forcierten die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und kamen dem westdeutschen Diskurs recht nahe. Die Vergangenheit soll demnach nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern es soll zu einer eigenständigen Verständigung über den Nationalsozialismus kommen.
Mehr über diese Tagung können Sie im Akademie-Report 3/2015 lesen.
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