Afghanistan und seine Nachbarn

Ein Fazit nach 13 Jahren Einsatz der internationalen Hilfstruppen

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 26.03.2015

Von: Carina Schmotz und Beryll Kunert

# Sicherheitspolitik und Terrorismus

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Nach 13 Jahren endete der Einsatz der internationalen Sicherheits- und Wiederaufbautruppen ISAF in Afghanistan und damit ein Kapitel im Kampf gegen den Terrorismus. Welche Ziele während des ISAF-Einsatzes verfehlt, welche erreicht wurden und wie das Verhältnis Afghanistans zu den Nachbarländern ist, wurde in der Akademie für Politische Bildung diskutiert.

ISAF - ein Fazit

Das vordergründige Ziel wurde erreicht: Al-Qaida ist aus Afghanistan so gut wie verschwunden, Osama Bin Laden tot und die aktuelle Regierung ist demokratisch legitimiert. Mädchen können die Schule besuchen, das Mediensystem ist (im Gegensatz zu den Nachbarländern) relativ frei und wird vom Volk mit sehr viel Interesse angenommen. Seit die NATO 2001 nach Afghanistan kam, hat sich also viel geändert – aber nicht genug, meint die afghanische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Waslat Hazrat-Nazimi: das Rechtssystem funktioniert kaum, große Teile der Bevölkerung leiden unter Mangelernährung und die Sicherheitslage ist nach wie vor instabil; vor allem die zahlreichen Anschläge der Taliban tragen dazu bei. Hazrat-Nazimi spricht sich für Friedensgespräche mit den Taliban aus: „Das sind keine Monster, das sind auch Menschen.“

Militärpfarrer Norbert Sauer plädiert dafür „Pakistan mehr ins Boot zu holen“. Nach dem Sturz der Regierung im Jahr 2001, entstand ein Untergrundnetzwerk der Taliban, das vor allem im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Unterschlupf fand. Die US-Politik unterschied nicht ausreichend zwischen der Terrororganisation Al-Qaida und den im Land herrschenden Taliban. „An den Anschlägen des 11. September 2001 war kein Afghane beteiligt“, erklärte Sauer. Dennoch war für den amerikanischen Geheimdienst bewiesen, dass Al-Qaida in Afghanistan Ausbildungslager betreibt – und das Militär dort eingreifen müsse.

Von der wirtschaftlichen Seite betrachtet ist Afghanistan zwar ein rohstoffreiches Land, allerdings ist es aufgrund der Sicherheitslage und dem hohen Produktions-Aufwand, kaum rentabel für Investoren. "Sobald die finanziellen Mittel anderer Länder weniger werden, wird auch die Wirtschaft zusammenklappen", so Phillip Münch (Stiftung Wissenschaft und Politik).

Iran, China und das Verhältnis zu Afghanistan

Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert gehörten Teile Afghanistans zum persischen Reich, dem heutigen Iran. Trotz der teilweise gemeinsamen Geschichte haben sich die Nachbarländer unterschiedlich entwickelt, so Iranexpertin Dr. Christl Catanzaro. Ein prägnanter Unterschied ist, dass im Iran 95 Prozent der Bevölkerung Shiiten, in Afghanistan dagegen über 80 Prozent Sunniten sind. Die Entwicklung des Iran ist schon deutlich weiter vorangeschritten. So gibt es im Iran beispielsweise ein System zur Geburtenkontrolle: Verhütungsmittel sind erlaubt, während sie in Afghanistan verpönt sind, so Catanzaro. Auch ist die Lebenserwartung im Iran 13 Jahre höher. Außerdem ist die Emanzipierung dort weiter fortgeschritten: etwa 65 Prozent aller Studenten im Iran sind Frauen und auch die Quote weiblicher Dozenten an Hochschulen ist weit höher als beispielsweise in Deutschland.

Afghanistan per se spiele für China keine Rolle, so Saskia Hieber (Akademie für Politische Bildung) über das Verhältnis dieser Nachbarländer. Ein chinesisches Vorurteil sei, dass Afghanen unzivilisierte Barbaren sind. Allerdings werde mit Afghanistan kooperiert, um die intensive Beziehung zu Pakistan aufrecht zu erhalten: China braucht einen strategischen Partner, um den Zugang zum indischen Ozean zu sichern. Kooperiert wird aber nur in einem Maß, das die Beziehung zwischen USA und China nicht belastet, so Hieber. Offiziell hat China keine Verbindung zu der massiven Heroinproduktion in Afghanistan, die 90 Prozent des Weltmarktes ausmacht, obwohl der Schmuggel in das angrenzende Land offensichtlich und logisch sei.

USA: „Globaler Krieg gegen den Terror“

US-Präsident George W. Bush kündigte nach dem 11. September 2001 eine harte Reaktion gegen den internationalen Terrorismus an. Gerlinde Groitl (Universität Regensburg) beschrieb, dass die Intervention in Afghanistan in diesem Kontext für die USA nur ein Kampf in einem ganzen Krieg gegen den Terrorismus gewesen sei. Nach dem schnellen Sturz des Taliban-Regimes sollte Afghanistan in ein neues freies und demokratisches System übergehen: „Liberate, not occupy“. Mit Hilfe der internationalen ISAF-Truppen sollte ein schneller Wiederaufbau des Regierungssystems erfolgen. „Die Schlussfolgerung, ein Regimewechsel sei einfach und schnell zu vollziehen, war ein Trugschluss“, so Groitl. Als die USA 2003 unter der Flagge der „antizipatorischen Selbstverteidigung“ als nächstes Ziel den Irak ins Auge fassten, kam es zu einem Zerwürfnis mit den transatlantischen Partnern. Sadam Hussein wurde zwar schnell gestürzt, doch folgte daraufhin ein totaler Staatskollaps. Chaos, Plünderung, Recht- und Ordnungslosigkeit und der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten beherrschten das Land. Die USA hatten für die Nachkriegsphase schlichtweg keinen Plan gehabt. Erst nach und nach wurde erkannt, dass nur ein funktionierendes Staatswesen guten Schutz gegen Terror bieten kann.

Unter diesen Vorkommnissen im Irak rückte Afghanistan in den Hintergrund. Die Sicherheitslage im Land verschlechterte sich seit 2008 sprunghaft. Als Barack Obama neuer US-Präsident wurde, legte er den Fokus der US-Sicherheitspolitik wieder auf den Kampf gegen Al-Qaida. Nach andauernder Kritik in der US-amerikanischen Öffentlichkeit und innenpolitischen Problemen wie der Finanzkrise, verkündete die US-Regierung den schrittweisen Rückzug aus Afghanistan ab dem Jahr 2011.

Drückeberger Deutschland?

Nach dem 11. September 2001 versprach der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA. Gemäß Artikel fünf der NATO-Charta, stellte der Terroranschlag einen Angriff auf einen Bündnispartner Deutschlands dar. Laut Groitl war es deshalb „selbstverständlich, dass die Bundesrepublik am ISAF-Einsatz teilnahm“. Im Laufe dieses internationalen Engagements zeigte sich Deutschland eher defensiv. Wiederaufbau und Stabilisierung statt Kämpfe und Feuergefechte lautete ihre Strategie. 2006 übernahmen die deutschen Einheiten die Führung des Regionalkommando Nord – der ruhigsten Gegend. Diese defensive Strategie brachte Deutschland viel Kritik von den Bündnispartnern ein. Der Luftschlag von Kunduz im Jahr 2009 regte eine öffentliche Debatte an und löste eine mittlere Krise in der internationalen Politik aus. Deutschland hat bis heute eine tragende Rolle in entwicklungspolitischer und finanzieller Hinsicht in Afghanistan und ist bei der nachfolgenden NATO-Mission „Resolute Support“ beteiligt. Gerlinde Groitl geht davon aus, dass der Afghanistan-Einsatz zu einer Professionalisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geführt hat. Außerdem sei die Bundesrepublik gezwungen gewesen sich mit ihrer eigenen Rolle im internationalen Gefüge auseinander zu setzen.


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Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing


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