Internet essen Kino auf?

Keine Angst vor der Zukunft des Films beim Akademiegespräch am See mit Tom Tykwer

Tutzing / Akademie-Gespräch Tagungsbericht / Online seit: 30.07.2014

Von: Michael Schröder

# Gesellschaftlicher Wandel, Medien, Kultur

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Akademiegespräch am See im Rahmen des Fünf-Seen-Filmfestivals und unserer Tagung "Bilder einer Gesellschaft": zu Gast in Tutzing waren Filmpublizist Robert Fischer, Regisseur Edgar Reitz, BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz und Regisseur Tom Tykwer (Foto: Prume).

Im vergangenen Jahr hatte die Akademie für Politische Bildung Tutzing das Starnberger Fünf-Seen-Film-Festival (fsff) „nur“ mit der finanziellen Förderung der Wolfgang-Kohlhaase-Retrospektive unterstützt (siehe Akademie-Report 3-2013). In diesem Sommer waren das Festival und sein Leiter Matthias Helwig Kooperationspartner beim „Akademiegespräch am See“ zum Thema: „Der Autorenfilm und die Kraft der Illusion – Das Kino im gesellschaftlichen Wandel“.

Es diskutierten die Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks (BR), Bettina Reitz, der Filmemacher Edgar Reitz („Heimat“) und der Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt“). Moderiert wurde das Filmgespräch vom Münchner Filmpublizisten Robert Fischer. Selbst unter den Profis gab es keine einhellige Meinung über den Begriff „Autorenfilm“. So wurde er denn auch gleich in Frage gestellt. Der alte Autorenfilm, bei dem der Autor Buch, Regie, Kamera und Schnitt übernimmt und prägend beeinflusst, kann laut Tykwer heute nicht mehr funktionieren: „Ich arbeite mit einem Team von Kreativen und Spezialisten. Ich selbst kann gar nichts. Ich sage nur, was ich gerne hätte.“ Für ihn ist wichtig, dass sich Kino nicht aus gesellschaftlichen Fragen heraushält. Wenn Filme etwas mit dem Heute zu tun haben, ist das Kino seiner Meinung nach nicht totzukriegen. Im Übrigen sei die Frage nach dem Ende des Kinos „eine olle Kamelle“. Sie werde seit der Erfindung des Tonfilms immer wieder gestellt. Weder Fernsehen, noch Video und DVD hätten das Kino kaputtgekriegt. Tykwer ist überzeugt: „Und das werden auch das Internet und die neueren Medien und Technologien nicht schaffen.“

Neue Bildkultur

Bettina Reitz hat früher als Leiterin des BR-Programmbereichs Spiel-Film-Serie preisgekrönte Produktionen verantwortet („Marias letzte Reise“, „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ und „Das weiße Band“). Heute ist sie der Meinung, dass die Veränderung von Filmformaten und Konsumgewohnheiten unaufhaltsam sei. Junge Leute konsumieren heute Serien am Stück auf kleinen Smartphone-Bildschirmen. Sie hätten eine neue Bildkultur und -sprache. Wohin das führe, wisse man noch nicht. Aber es gebe eine große Vielfalt des Erzählens. Und: „Wir dürfen nicht nachlassen beim Bemühen um die Komplexität des Erzählens“, sagte die Filmfachfrau Reitz.

„Widerstand gegen Dekonzentration“

Ihr Namensvetter Edgar Reitz („nicht verwandt und nicht verschwägert“) hat Erfahrungen mit komplexen und komplizierten Erzählungen und Filmen. Der 82-Jährige Regisseur und Autor, der 1962 das Oberhausener Manifest mit unterschrieben hatte („Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen“), hat die 11-teilige Serie „Heimat“ (fast 16 Stunden) geschaffen. Sein neuester Film „Die andere Heimat“ dauert fast vier Stunden und stellt höchste Ansprüche an den Zuschauer. Deswegen braucht Reitz für seine Filme auch „ein Kino, einen besonderen Saal mit einer besonderen Atmosphäre, ein Gemeinschaftserlebnis im Dunkeln mit höchster Konzentration auf die Leinwand.“ Und da ist er mit der gegenwärtigen Situation nicht zufrieden: „Was wir heute Kino nennen, ist ein Saustall!“ Er will sich mit Filmen im Handy-Format nicht abfinden. Die „Dekonzentration“ der jüngeren Leute dürfe man nicht hinnehmen: „Man muss diesen Entwicklungen gegenüber Widerstand leisten“, findet der große alte Mann des deutschen Autorenfilms.

Trotzdem war den drei Filmleuten nicht bange im die Zukunft des Kinos. Wenn es genügend „Event-Charakter“ habe – wie auf Festivals – dann habe Kino auch weiterhin Erfolg. Und Tykwer meinte, wenn immer mehr Leute gute Beamer daheim haben, könnten sie sich Kinofilme auch zuhause per Blue-Ray-Player oder online-Stream in bester Kinoqualität auf der Wohnzimmerwand anschauen.


Bildergalerie

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Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing


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