Gefahr oder Korrektiv?

Das Phänomen Populismus

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.05.2013

Von: Anna Ehrhart und Miriam Zerbel

# Medienethik, Populismus und Extremismus

Frank-Decker-Tutzing

Frank Decker setzte sich mit dem Begriff Pouplismus auseinander. (Foto: Zerbel)

Silvio Berlusconi, Geert Wilders, Beppe Grillo ... "Wenn die Vernunft schläft, triumphieren die Populisten", titelte die FAZ vor Kurzem. Vor allem in Krisenzeiten haben sie Konjunktur und bedienen sich gern simpler Scheinlösungen.

Zieht der Populismus wie ein Gespenst durch die Demokratien unserer Welt?  Diese Frage beschäftigt nicht nur den Soziologe Helmut Dubiel, sondern auch Referenten und Teilnehmer der Tagung „Das Phänomen Populismus“.

Zunächst ging es um eine Einordnung des Begriffs Populismus, der sich Frank Decker von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn widmete. Der Bonner Professor definiert Populismus als Haltung mit einer starken Anti-Establishment-Orientierung, die sich an das einfache Volk richtet. In seinem Vortrag befasste er sich mit drei Analyseebenen:

  1. Entstehung
  2. Ideologische Inhalte
  3. Formale und stilistische Merkmale

Gesellschaftliche Entstehungshintergründe

Decker sieht im Populismus ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisierungskrisen. Die Systemkritik bezieht sich demnach auf die ökonomische, kulturelle und politische Ebene. „Populismus und Modernisierung sind zwei Seiten einer Medaille“, bringt der Politologe es auf den Punkt.  Einfache Erklärungsmodelle werden benutzt, Klischees und klassische Rollenbilder eingesetzt, um auf die verunsicherte Bevölkerung einzuwirken.
Decker analysiert durchaus länderbezogene Unterschiede: Vor allem ökonomische und kulturelle Konflikte seien länderübergreifend. Dagegen bezögen sich politische Konflikte eher auf systemspezifische Probleme. Ein übergreifendes politisches Mobilisierungsthema sei allerdings die Europäische Einigung. „Darin lässt sich ein konkreter Schuldiger für die abstrakte Globalisierung finden“, so Decker.

Selbstverständnis und Ideologie

Nach Deckers Einschätzung versteht sich der Populismus als Abgrenzungsideologie. „Es gibt ein quasi schizophrenes Gleichheitsverständnis mit der romantischen Vorstellung eines homogenen Volkes“, erklärt der Politologe. Die Abgrenzung gegen das Fremde ist dabei nur eines der anti-egalitären Momente. Tendenziell sei der Populismus zwar durch nationales Denken geprägt, aber eingebettet in eine westeuropäische Identität. So wies Decker auf die europaweite Zusammenarbeit der Rechtsparteien hin, die im Europa-Parlament in einer gemeinsamen Fraktion zusammengeschlossen sind.

Auftreten, Organisation, Stilmittel

Hauptmerkmal populistischer Bewegungen sind eine charismatische Führungsfigur und spezifische Agitationstechniken: Verschwörungstheorien, Denken in Feindbildern, Vorliebe für radikale Lösungen, Verwendung biologistischer Gewaltmetaphern („Maden im Speck“ im Zusammenhang mit Asylbewerbern) und auch Provokationen sowie Tabubrüche gehören dazu.

Decker weist jedoch daraufhin, dass der Populismus auch positive Effekte habe. So werde der Handlungsdruck auf die etablierten Parteien erhöht und Unzufriedenheitsgefühle kanalisiert. Das Gefährdungspotential durch populistische Bewegungen liegt nach Deckers Worten in dem „schleichenden Gifteffekt“: Der politische Diskurs wird banalisiert, antipluralistische Tendenzen legitimiert. „Populismus ist nützlich als Vehikel für mehr Demokratie, aber gefährlich, wenn beispielsweise Menschenrechte zur Disposition gestellt werden.“

Bekämpfungsstrategien

Am besten lasse sich der Populismus bekämpfen, so Decker, wenn ihm die Protestgründe entzogen würden und die  Probleme tatsächlich gelöst würden. Dafür gebe es unterschiedliche Ansatzpunkte etwa direktdemokratische Beteiligungsformen oder die Erneuerung des Wohlfahrtsstaates. Deckers Fazit: „Populistische Parteien sind das Produkt eines gesellschaftlichen Wertewandels.“

Populismus der Clowns? Ein Blick nach Italien…

Dass ein Blick nach Italien beim Thema Populismus nicht zu vermeiden ist, bestätigte Stefan Köppl von Leitwerk Consulting im abendlichen Kamingespräch. Schließlich gebe es in Italien vergleichsweise viele Populisten in der Politik, nicht erst seit Beppe Grillo oder Silvio Berlusconi.

Köppl teilt den italienischen Populismus in vier Kategorien ein:

  1. Regionalistischer Populismus: unter Umberto Bossi und der Lega Nord Er steht für die Interessen Norditaliens gegenüber dem Süden, erzeugt sozusagen einen „Intra-Rassismus“.
  2. Der Populismus der „sauberen Hände“ von Antonio di Pietro.
  3. Populismus als Geschäftsmodell von Silvio Berlusconi, der mit seiner „catch-all“- Marketingstrategie immer wieder die italiensche Politik mitbestimmt.
  4. Seit Beppe Grillo gibt es nun den Populismus des Clowns – oder der Wutbürger?

Was alle vier Populisten, trotz unterschiedlicher Ausprägung ihres populistischen Stils gemeinsam haben, ist jedoch die Maxime, dass Inszenierung über Ideologie geht.
Inwiefern Grillo weiter auch dauerhaft die Politik in Italien beeinflussen kann (und will) müsse man abwarten, aber bei Berlusconi sei eines sicher: seine größte Stärke sei die Schwäche seiner Gegner. Denn obgleich er ständig totgesagt wurde, kommt er doch immer wieder zurück in Italiens Politik oder war nie weg.

Populistische Strömungen in Europa

Doch Populismus hat nicht erst seit Berlusconi und ausschließlich in Italien Einzug in die Politik gehalten. Das Gespenst Populismus geistert durch die politische Landschaft ganz Europas.

Populismus ist weder in Deutschland noch in Frankreich unbekannt, denn in beiden Ländern gibt es einen starken Linkspopulismus. Weitere Gemeinsamkeiten beider Länder sind die Krise der großen Volksparteien und ein zunehmender Anti-Islam-Diskurs bis hin zur Islamfeindlichkeit, der nicht zuletzt durch die Sarrazin-Debatte 2010 weiter angefacht wurde.

Dennoch müssten auch die Unterschiede beider Länder im Bezug auf Populismus betrachtet werden, so Florian Hartleb von der Universität Bonn.
Während die rechtspopulistische Partei Front National durchaus die Politik in Frankreich beeinflusse und sogar die Führungsrolle familiär, von Vater Le Pen zu Tochter Le Pen, weitergegeben wurde, gebe es in Deutschland keine rechtspopulistischen Parteien.

Haider als prominentester Populist Österreichs

Dass gerade der Populist Jörg Haider der erste Österreicher auf dem Titel der amerikanischen Newsweek sowie dem Time Magazine war, sei  durchaus aussagekräftig für dessen Bekanntheit auch außerhalb des Alpenlandes, so Reinhard Heinisch von der Universität Salzburg.

Während man Haider zu seiner Zeit in der Freiheitlichen Partei Österreichs, FPÖ, sowie auch den heutigen Parteivorsitzenden Strache zur Gruppierung der Populisten mit einer eigenen Ideologie zählen könne, sei die Abspaltung des Bündnis Zukunft Österreich, BZÖ, durch Haider eher eine populistische Protestpartei. Hierzu könne man auch die Liste Hans Peter Martin oder die Liste Dinkhauser, sowie das Team Stronach als Newcomer der österreichischen Politik-Szene einordnen. Den Populismus als Politikstil in Österreich beherrschen tendenziell die meisten Parteien, besonders auf Länderebene, aber ebenso die Boulevard-Medien.

Heinisch erklärt die Ursachen für den Erfolg des Rechtspopulismus in Österreich durch die zunehmende Politikverdrossenheit über die Parteienherrschaft, die sinkende Mobilisierungskraft der etablierten Parteien, und die abnehmenden Gestaltungsmöglichkeiten in der nationalen und lokalen Politik. Doch auch die Angst vor sozialem und wirtschaftlichem Abstieg, dem Gefühl der wirtschaftlichen und kulturellen Fremdbestimmung sowie das Bedürfnis nach Unkonventionalität und Authentizität spielen eine wichtige Rolle.

Wilders als Polit-Profi

Die Niederlande sei geprägt vom ständigen Wandel in der niederländischen Parteienlandschaft, sodass die Gründung der Partij voor de Vrijheid, PVV, von Geert Wilders zunächst nichts allzu überraschendes war, erklärte Markus Wilp vom Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster.

Auch seien viele Niederländer tendenziell Wechselwähler und entschieden erst sehr kurz vor einer Wahl, wo sie das Kreuz setzten. Was Wilders so erfolgreich mache, sei auch seine Erfahrung in der politischen Praxis schon lange vor der Gründung der PVV. Dass das Recht auf freie Meinungsäußerung schon immer einen hohen Stellenwert bei den Niederländern hatte, ist für Wilders Populismus durchaus fördernd. So betont er immer wieder aufs Neue seine Distanz zu den etablierten Parteien und zur politischen Elite, auch wenn er teilweise selbst dazu gezählt werden könne.

Dynamik durch Europa-Themen

In der abschließenden Betrachtung zur Entwicklung des Populismus in verschiedenen europäischen Ländern, wurde trotz vorhandener Unterschiede deutlich, dass „Europa-Themen“ von zunehmender Wichtigkeit für die Parteien geworden sind – auch für Populisten. Neben Euro-Krise und Staatsverschuldung beschert der Euro-Skeptizismus dem Populismus eine ganz neue Dynamik.

Auch die Medien tragen wesentlich dazu bei, wie Politik und auch Populismus in der Öffentlichkeit dargestellt werden: Berichterstattung über politische Praxis, Personen und Institutionen dürfe nicht nur zum Infotainment werden, so die Forderung der Referenten. Fälle wie Guttenberg oder Wulff zeigten in Deutschland, dass auch Neue Medien wie Facebook und Twitter die Gefahr zum Anti-Elitismus förderten und oft zur „Skandalisierung“ der Politik beitrügen. Populisten allerdings könnten von einer Medialisierung der Politik profitieren: denn Populismus schürt Ängste – und schon zieht ein Gespenst durch die Lande.


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