Mehr Mitbestimmung für die Bürger?...!

Tagung zur partizipativen Stadt- und Regionalentwicklung

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 09.11.2013

Von: Sebastian Haas

# Kommunalpolitik, Bayern, Parlamente Parteien Partizipation

Kalina-Haug-Brettschneider-Muench

Die Sicht der Wissenschaft auf das Thema "Partizipation in der Stadt- und Regionalentwicklung" besprachen (v.l.) unser Tagungsleiter Dr. Ondrej Kalina, Prof. Dr. Volker Haug von der Universität Stuttgart, Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim und Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch (Foto: Haas).

Der Wunsch der Menschen nach mehr Mitsprache bei Projekten der Stadt- und Regionalentwicklung scheitert immer wieder an bereits rechtsstaatlich getroffenen Beschlüssen. Doch wer die Interessen seiner Bürger übergeht, riskiert erbitterte Konflikte, die eine einvernehmliche Lösung verhindern. Was tun? Bei der Tagung Partizipative Stadt- und Regionalentwicklung beantworteten wir Fragen nach den Vor- und Nachteilen der Partizipation, nach deren Regeln und den Chancen der Legitimationssteigerung von Projekten.

Frank Brettschneider ist Kommunikationsexperte und als Professor an der Universität Hohenheim Augenzeuge der Proteste um Stuttgart 21. Aus seiner Forschung weiß er: gerade Projekte aus dem Infrastruktur- und Energiesektor werden nur selten von den Bürgern akzeptiert. Die Gründe für einen Einspruch sind meist Beeinträchtigungen des eigenen Lebens (NIMBY – „not in my backyard“ nennt man das mittlerweile) oder der Umwelt, hohe Kosten bei unklarem Nutzen, mangelnde Transparenz der Entscheidungen und keine Diskussion über Alternativen. Da der Protest zunehmend den Charakter eines Events erhält, prominente Mitstreiter eingespannt werden, Visualisierung und Emotion in den Vordergrund rücken, berichten auch die Medien aufmerksamer. Ein erster Schritt zu mehr Akzeptanz scheint denkbar einfach: die handelnden Personen müssen nur richtig kommunizieren. Also: allen Beteiligten und Betroffenen rechtzeitig, verständlich und nachvollziehbar erklären, was wann wo warum getan werden soll.

Kommunikation ist alles

Kommunale Beteiligungsverfahren und –instrumente erklärte der Staatsrechtler Volker M. Haug, der an der Universität Stuttgart einem bundesweit einmaligen Studiengang zur Partizipation vorsteht. Es verwundert nicht: Bürgerbeteiligung ist ein kompliziertes Unterfangen. Wussten Sie zum Beispiel, dass Sie als Bürger zwei Mal eingreifen können, bevor ein Bebauungsplan im Ort neu ausgewiesen wird? Im Planfeststellungsverfahren eines größeren Projekts können Sie das dagegen erst, wenn die Anträge bereits von den Behörden geprüft wurden, es also weit gediehen ist. Wohnen Sie in Bayern, ist Ihre Kommune nicht einmal gesetzlich verpflichtet, rechtzeitig und ausführlich über Bauprojekte zu informieren – und könnte diese somit sehr lange geheim verfolgen. Im Gegenzug gibt es aber jährliche Bürgerversammlungen, deren Ergebnisse der Gemeinderat diskutieren muss, und natürlich Bürgeranträge und den Bürgerentscheid. Wiederum gilt: Kommunikation ist alles.

Die Kommunikation dreht sich in und um Starnberg herum in einem Fall seit Jahrzehnten im Kreis. „Aus Erfahrungen lernen: Die verfahrene Debatte um die Starnberger Verkehrsführung“ lautete daher der Titel eines öffentlichen Akademiegesprächs am See. Unter der Leitung von Akademiedirektorin Ursula Münch versuchten der Starnberger Verkehrsreferent Jürgen Busse, der sich seit Jahren für den Bau eines Tunnels durch Starnberg einsetzt, der Vorstand der Bürgerinitiative Pro Umfahrung Hans-Jochen Diesfeld sowie der Wiener Bauingenieur Werner Rosinak Grundlagen für eine Verständigung zu erörtern. Diesen Konflikt, der seit 30 Jahren schwelt, in der Akademie für Politische Bildung Tutzing komplett darzustellen oder gar zu lösen, ist unmöglich. Daher wird der Stand der Dinge und die zum Teil hoch emotional geführte Diskussion auch an dieser Stelle nur in aller Kürze dargestellt.

Umfahrung oder "Amtstunnel?"

Fakt ist: durch die Stadt Starnberg rollen täglich mehrere 10.000 Fahrzeuge und seit den 80er-Jahren werden zwei Mittel zur Verkehrsentlastung diskutiert: ein Tunnel und eine Umfahrung. Für die Bürgerinitiative Pro Umfahrung ist dabei der „Amtstunnel“ kein Mittel einer vernünftigen Verkehrsplanung, der den grundsätzlichen Fehler eines Autobahnzubringers in die Stadt Starnberg hinein korrigieren kann. Hinter dem Tunnel steht die Mehrheit des Starnberger Stadtrates und wohl auch die Verkehrsministerien – zumindest hat der Bund das Projekt praktisch abgesegnet und scheint kein anderes verfolgen zu wollen. Die Stadt will nicht auf ihr Baurecht und die Fördermittel verzichten und wirft der Bürgerinitiative eine falsche Darstellung der Verhältnisse vor. Die Tunnelgegner wiederum fühlen sich nicht ernst genommen, kritisieren mangelnde Bürgerbeteiligung und dass der Planfeststellungsbeschluss wieder überarbeitet werden müsste – und hoffen auf einen neu zusammengesetzten Stadtrat nach den Kommunalwahlen 2014.

Dies zeigt, und das betonte der Ingenieur und Mediator Werner Rosinak: es gibt immer unterschiedliche Wahrheiten. Um die Prozessqualität von Anfang an zu sichern und ein professionelles Konfliktmanagement zu betreiben, helfe nur – Sie ahnen es – mehr kommunizieren, argumentieren, und weniger kämpfen. Warum also nicht einmal die allseits beteiligten Experten öffentlich diskutieren lassen? Und sich die Fragen stellen: Wo liegt in der Vergangenheit die Ursache für den Konflikt? Gibt es in der Gegenwart Möglichkeiten für einen Dialog? Verschwindet der Konflikt, wenn das Projekt realisiert ist? Und wenn nicht, ist das Projekt eine weitere Spaltung der Stadt wert? Das Argument des Zeitdrucks ließ Rosinak in diesem Zusammenhang nicht gelten: dies werde meist nur gespielt, um eine Diskussion zu verhindern. Allen Beteiligten und den gut 250 Zuhörern im Auditorium der Akademie dürfte klar geworden sein: zunächst muss in Starnberg wieder ein konsensbereites Klima geschaffen werden – sowohl im Stadtrat als auch in der Bürgerschaft. Denn beide Seiten müssen an dem Konflikt arbeiten wollen, sonst ist eine Lösung unmöglich.

Wie es funktionieren kann

Dass es auch anders geht, erklärten Mediatoren, die in Auseinandersetzungen um große Bauprojekte vermittelt haben. Der Bauingenieur, Umwelt- und Raumplaner Christoph Ewen war maßgeblich beteiligt am Mediationsverfahren Tiefe Geothermie Vorderpfalz. Er kennt sich also aus im Streit um Lärm, Schadstoffe, Gebäudeschäden, Grundwasserverschmutzung, politischen und wirtschaftlichen Interessen und weiß: mit einem guten Moderator und offener Kommunikation alleine ist es noch nicht getan. Zum Beispiel kann durch die Art der Veranstaltungen das Publikum bestimmt werden („zur Ortsbegehung am Samstagnachmittag kommt doch eher die Familie mit Kindern anstatt der ältere, männliche Wutbürger“), die Beteiligten und deren Nöte sind von Ort zu Ort unterschiedlich, die Sorgen werden oft hinter fachlichen Gründen versteckt – hier kann die Wissenschaft helfen, aber nur, wenn sie verständlich, unabhängig und nicht von oben herab agiert.

Arne Spieker von der Strategie- und Kommunikationsberatung ifok stellte dar, wie sich in Schwäbisch Gmünd eine weithin unterstützte Bürgerinitiative für einen Tunnelfilter gebildet hatte, weil im Zuge des Baus einer Stadtunterführung ein Abluftkamin errichtet wurde. Bund und Regierungspräsidium waren die Bauherren, eine ganze Stadt stand gegen sie.

Zuletzt berichtete Barbara Schöning über Bürgerbeteiligung in der Regionalplanung der USA, wo Zersiedlung, eine Orientierung am Straßenverkehr und ein intensiver Wettbewerb zwischen den Städten das Bild bestimmen. Wie die Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus Universität Weimar erläuterte, hat die Öffentlichkeit aber große Möglichkeiten, sich in Organisationen an der Stadt- und Regionalplanung zu beteiligen. Diese werden zwar größtenteils von der gesellschaftlichen Elite getragen, schaffen aber Aufmerksamkeit, können den Diskurs bestimmen und arbeiten „punktuell und extrem pragmatisch“ zusammen – gerade in letzterem Punkt kann man hierzulande noch Einiges von den USA lernen.


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