Putin und sein Volk

Akademiegespräch zur Präsidentenwahl in Russland

München / Tagungsbericht / Online seit: 07.03.2012

Von: Sebastian Haas

# Osteuropa und Russland

Download: Akademiegespräch im Landtag: Vladimir Putin und das russische Volk

Münch-Mommsen-Stamm

Wie sagte es die Landtagspräsidentin doch so schön? "Das Damenteam auf der Akademiebühne": (v.l.) Ursula Münch, Margareta Mommsen und Barbara Stamm. (Foto: Haas)

Er ist gewählt. Wieder einmal. Mit 63,6 Prozent der Stimmen. Die Fäden der Macht laufen in Russland seit 2000 bei einem Mann zusammen: Vladimir Putin. Doch der stößt nach der Präsidentschaftswahl am 4. März 2012 auf neue Herausforderungen. Eine kritische Öffentlichkeit zweifelt seine Legitimität auf der Straße und im Internet an. Hat sich das System Putin trotz des vermeintlich eindeutigen Wahlsiegs überlebt? Das erklärte bei unserem 45. Akademiegespräch im Landtag die Russland-Expertin und Buchautorin Prof. Dr. Margareta Mommsen. Die langjährige Lehrstuhl-Inhaberin für Politische Systeme Osteuropas und der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Systemvergleich und Systemwandel an der LMU München sprach über mangelnde Pressefreiheit und Menschenrechte, brachiale Machtspiele und Klüngel in Politik, Wirtschaft und Geheimdiensten.

Zunächst aber war es an Landtagspräsidentin Barbara Stamm, am 6. März die gut 400 Gäste im Senatssaal des Maximilianeum zu begrüßen. „Ein herzliches Grüßgott“ sagte die Hausherrin vor allem den vielen Schülern und Studenten. Das Interesse auch junger Zuhörer zeige, dass Akademie für Politische Bildung Tutzing und Bayerischer Landtag wieder einmal ein breites Interesse geweckt hätten. „Wir freuen uns auf die künftigen gemeinsamen Projekte“ – so schloss Barbara Stamm ihre Begrüßung und übergab das Wort an Prof. Dr. Ursula Münch, die an diesem Abend ihr erstes Akademiegespräch leitete.

Unsere Direktorin erklärte kurz, warum die Wahl in Russland ein so wichtiges Thema ist. Zunächst ist das Riesenreich Russland ein wichtiger strategischer Partner – egal ob in Sicherheitspolitik oder Wirtschaft – für Europa, aber genauso für Indien oder Lateinamerika. Zudem ist 2012 in ein Wahljahr mit weltpolitischer Brisanz: Neben Russland wählen die Vereinigten Staaten, Frankreich und auch Deutschland ein neues Staatsoberhaupt. Bei regulärem Verlauf gibt es eine solche Konstellation erst wieder in 60 Jahren.

Alle Macht dem Präsidenten

In Ihrem Vortrag zeigte Professorin Margareta Mommsen die Grundmerkmale der gelenkten Demokratie in Putins Russland, die wir hier nur stark verkürzt wiedergeben: 1.) Die Verschmelzung von staatlichen und wirtschaftlichen Interessen – das Business macht die Macht unter sich aus. 2.) Der Aufbau von parallelen Institutionen – dabei werden die eigentlichen Verfassungsorgane wie Parteien und Parlament gegängelt, die Demokratie wird inszeniert. 3.) Staatsfernsehen – 98 Prozent der Russen erhalten sämtliche Informationen durch die amtlichen Kanäle. „Eine Einbahnstraße der politischen Kommunikation, die nur dazu dient, die Bevölkerung einzulullen“, wie Margareta Mommsen meint. 4.) „Das Parlament ist kein Platz für politische Diskussionen“ – so heißt die offizielle Sprachregelung. Der Regierungspartei Einiges Russland ist zwar eine Opposition gegenübergestellt. Die kritisiert zwar, stimmt aber nie dagegen. 5.) Das politische System ist privat – aus etwa 50 Familien besteht die Funktionselite Russlands. Und Vladimir Putin ist der Patron des Familienunternehmens.

Die gelenkte Demokratie schlägt zu

Zusammengefasst bedeutet das: Alle Macht dem kraftmeierischen Präsidenten. Der garantiert im Gegenzug Wirtschaftswachstum, politische Stabilität, einen starken Staat und Großmachtansprüche. Wie kam es nun zu den Rissen im fest gefügten System? Die Tandemlösung mit Dimitri Medwedjew war nur zu Beginn stabil, dann begann der Statthalter, teils scharfe Kritik am bestehenden System zu üben. Bei der Suche nach Unterstützern kam Medwedjew aber nicht gegen die Seilschaften Putins in Rüstungsindustrie, Geheimdiensten usw. an. Dieser wiederum bot vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr eine „allrussische Volksfront“ zur eigenen Unterstützung auf, verbot die Wahlregistrierung für systemkritische Parteien, ließ die starke Beeinflussen der Wahlen zu und verkündete auf dem Höhepunkt der Inszenierung seine erneute Kandidatur als Präsident.

Arroganz der Macht

Nun war für die kritisch eingestellte Bevölkerung das Fass übergelaufen, die Arroganz der Macht war zu groß, die Reaktion lag irgendwo zwischen Kritik, Scham und Entsetzen – vor allem in der Internetgemeinde. Aber auch in der Chefetage des Kreml gab es Irritationen: Finanzminister Alexej Kudrin, der sich gegen den Ämtertausch zwischen Medwedjew und Putin ausgesprochen hatte, wurde im September 2011 zum Rücktritt gezwungen. Die Putin-nahe Partei Einiges Russland sahen viele nun als Partei der Diebe und Gauner an. Und es beruhigte die aufgeheizte Stimmung nicht, dass Vladimir Putin die Demonstranten auf der Straße als „quietschende Affen“ bezeichnete.

Heute, wenige Tage nach der Wiederwahl Putins als Staatspräsident, kommen aus der russischen Führungsetage widersprüchliche Signale. Die Reaktionen auf den öffentlichen Protest bleiben plump: eine Minderheit, die auf den Wunsch des Westens Russland schwächen will, lässt der neue alte Präsident verlauten. Gleichzeitig kündigt man aber einen „Putin im neuen Format“ an – freilich einen, der „nicht im Stil von Gorbatschows liberalen Anwandlungen handeln wird“.

Wie die Risse kitten?

Für Professorin Margareta Mommsen ist klar: Das System Putin hat sich überlebt. Davor darf der neue alte Präsident nicht die Augen verschließen. Eine Demokratie nach unserem Verständnis sei auch in Russland möglich – was dort aber fehlt, ist eine funktionierende Zivilgesellschaft und politische Bildung. Was muss nun geschehen, um die russische Gesellschaft wieder mit ihrem politischen System zu einen? Unsere Expertin meint, dass das geschehen muss: die angekündigten Reformen verwirklichen; die beratenden Ersatzgremien abschaffen; die Privilegien der neuen Reichen beschränken und sie gleichzeitig ins politische System einbinden; die Demonstranten sollten sich als Parteien organisieren dürfen und den Protest so von der Straße und aus dem Internet in das politische System holen. All das könnte der russischen Führung eine neue Legitimität bringen.


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