Farbenspiele

Koalitionsdemokratie vor den Wahlen 2013

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 15.01.2012

Von: Sebastian Haas

# Parlamente Parteien Partizipation

Download: Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013

Jesse-Decker-Schubert-Tutzing

Eckard Jesse, Frank Decker und Thomas Schubert sprachen zu Koalitionen, Koalitionsaussagen und aktueller Politik. (Fotos: Haas)

Klare Botschaften. Deutliche Worte. Das fordern nicht nur wir von den Politikern, die uns regieren oder im Parlament vertreten. Das forderten auch die Veranstalter unserer Tagung zum Stand der deutschen Koalitions-Demokratie. Daher: Ein Bericht der klaren Worte über ein Thema, zu dem man ganze Bücher füllen kann.

+++++ Worum geht es? +++++ Auf das Superwahljahr 2011 folgt das Superwahljahr 2013: Wahlen in Bayern und im Bund. Die können fürs Parteiensystem dramatische Folgen haben: Ende der CSU-Regierung im Freistaat? Piraten im Bundestag? Das Ende der FDP? Angesehene Wissenschaftler diskutieren mit Blick in die Zukunft – und mit den Gästen in der Akademie für Politische Bildung – aktuelle Trends und grundsätzliche Fragen: Welche Alternativen haben die Parteien? Mehr Optionen für Koalitionen, heißt das: weniger Einfluss der Wähler? Was bedeutet dies für die Motivation, überhaupt noch zur Wahl zu gehen? Funktionieren übliche Koalitions-Versprechen noch? Welche Rolle spielt die Parteibasis? Gibt es überhaupt noch spezifische Lager, und lohnt sich für eine Partei der Sprung über den Graben? Muss das ganze politische System verändert werden? +++++ Darum geht es. +++++

+++++ Sinkt der Einfluss der Wähler auf die Koalitionsbildung? +++++ Von Karl-Rudolf Korte kommt ein klares Jein. Den Professor von der Universität Duisburg-Essen muss man nicht eigens vorstellen, schon lange kommentiert er im Fernsehen die Wahlergebnisse. In der Akademie trug er Thesen zur Macht der Wähler vor, die wir hier in Auszügen wiedergeben: A) Der Einfluss ist gering, weil Machtwechsel in der Bundespolitik zumeist unabhängig von den Wählern geschehen. Lediglich als Gerhard Schröder (rot-grün) Helmut Kohl (schwarz-gelb) ablöste, war das eindeutig vom Volk so gewollt. B) Im Vielparteiensystem sinkt der Einfluss weiter: Alles ist möglich von der Dreierkoalition bis zur absoluten Mehrheit. „Der Wahlzettel wird zum Lotterieschein“, meint Korte, „wer Matschie wählt, bekommt Lieberknecht.“ Kein Wunder, dass immer weniger Bürger zur Wahl gehen. Man kann es aber auch positiv wenden: Wir haben ein vitales Parteileben, das langweilige Große Koalitionen verhindern will. C) Wähler lassen sich zu sehr von Umfragen beeinflussen und „lieben Favoriten“. Was aber, wenn diese nur Umfrage-Favoriten sind oder D) das persönliche Verhältnis der Politiker untereinander nicht stimmt? Darauf hat nun wirklich keine Wählerstimme Einfluss. +++++ Sinkt der Einfluss der Wähler? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. +++++

+++++ Vom Sinn und Unsinn von Koalitionsaussagen +++++ Frank Decker, Professor an der Universität Bonn, will gar nicht von Koalitionsaussagen treffen. Da sie oft so verklausuliert und unverbindlich geäußert werden, nennt er sie Koalitionssignale. Tatsächlich können die mal die Vorstufe der Koalitionsbildung sein (als die FDP 2009 ganz eindeutig auf die CDU zuging), und mal ein strategisches Wahlkampfinstrument (als die SPD 2009 bis zuletzt die „Ampel“ wollte). Das zeigte Thomas Schubert von der TU Chemnitz. Klar ist: Was für die Parteien wünschenswert ist, nützt ihnen nicht immer. Für die CDU zum Beispiel ist die Zeit noch nicht reif, eine Koalition mit den Grünen anzukündigen – damit würde man die eigene Klientel vergrätzen. So bleibt für die Wahlen 2013 nicht mehr viel: Rechts der Mitte ist nur noch die CDU stark. Links aber drängeln sich SPD, Grüne, Linkspartei und Piraten. Kanzlerin Merkel ist als erfolgreiche EURO-Krisenmanagerin kaum zu schlagen. Da bleibt doch nur die Wiederauflage der großen Koalition von 2005. Oder? +++++ Vom Sinn und Unsinn von Koalitionsaussagen +++++

+++++ Hat Schwarz-Gelb noch eine Zukunft? +++++ Schon, meint Professor Eckard Jesse von der TU Chemnitz. FDP und CDU bleiben Wunschpartner. Auch wenn die aktuelle Koalition einen katastrophalen Fehler nach dem nächsten begehe, dürfe man nicht vergessen: Gut die Hälfte der Zeit seit dem Bestehen der Bundesrepublik regieren die beiden Parteien gemeinsam – und die FDP schneidet immer dann schlecht ab, wenn sie sich nicht zur Union bekennt. Auf zwei Wetten hat der erfahrene Parteienforscher für die Bundestagswahl 2013 eingelassen: 1. Die SPD wird – sofern die jetzige Koalition durchhält – sich nicht mehr als Juniorpartner unter der Union verwenden lassen. 2. Die FDP zieht in den Bundestag ein und blockiert somit Rot-Grün. Was bleibt dann noch? Jesse meint, an den Grünen führt als Regierungspartei kein Weg vorbei: Entweder in einer Koalition mit der Union oder in der Ampel mit SPD und FDP. Lieber wäre es ihm, wenn sich die Parteien vom „ewigen Sicherheitsdenken“ verabschieden und auch mal Minderheitsregierungen eingehen. Also: Die Tolerierung einer schwarz-gelben Minderheitsregierung durch die Grünen, oder einer rot-grünen durch die Liberalen. Voraussetzung dafür aber sind: Klare Lagergrenzen (also weder Große Koalition noch die Ampel), kein Fischen und an rechten wie linken Rändern und erst recht keine Tolerierung durch extreme Parteien. Wie meinte schon Karl Valentin: „Prognosen sind besonders schwierig, wenn sie in die Zukunft gerichtet sind“ +++++ Hat Schwarz-Gelb noch eine Zukunft? +++++

+++++ Von Kellnern und Köchen: SPD, Grüne und Linkspartei +++++ Lothar Probst ist Professor in Bremen und erklärte die Stationen einer Beziehungsstörung: Den grünen Höhenflug und den verletzten Stolz der Volkspartei SPD. Rot-Rot in Berlin 2006, Schwarz-Grün 2008 in Hamburg, Jamaika im Saarland 2009, ein Grüner Ministerpräsident 2011 in Baden-Württemberg und die Absage an Rot-Grün durch Klaus Wowereit in Berlin 2011 zeigen: Es gibt Wettbewerb und Konkurrenz. Die Grünen positionieren sich als eigenständige politische Bewegung, gehen weg von der Schnittmengen-Koalition mit der SPD hin zur Ergänzungs-Koalition mit Liberalen und Konservativen. Tim Spier (Düsseldorf/Siegen) prüfte die Möglichkeit von Rot-rot-grün auf Bundesebene. Das sei als Alternative zur ungeliebten Großen Koalition möglich – aber 2013 undenkbar. Denn die Parteiprogramme weisen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Äußeres und Sicherheit große Unterschiede auf. Die möglichen Spitzenkandidaten der SPD haben sich gegen die Kooperation mit der Linken ausgesprochen. Innerhalb der Linkspartei bestehen drei fast eigenständige Parteien: ostdeutsche Pragmatiker, Ex-SPDler, Linksradikale. Erst wenn sich der Antichrist der Sozialdemokratie, Oskar Lafontaine, verabschiedet hat – und die Pragmatiker in der Linkspartei vollständig die Oberhand gewinnen – sei eine intensivere Zusammenarbeit denkbar. +++++ Rot-rot-grün bleibt (noch) ein Farbenspiel +++++

+++++ Alte und neue Bürgerlichkeit +++++ Gerhard Hirscher von der Hanns-Seidel-Stiftung ging der Frage nach, ob CDU und CSU eine tatsächliche Union sind oder doch eher eine Zweier-Koalition. Sicher ist: Die CSU holt in Bayern im Schnitt gut zehn Prozent mehr Stimmen als die Schwesterpartei im Bund. Sie ist mitgliederstark. Ohne sie hätte die Union kaum eine Chance gegen die SPD – auch, weil die CSU viel stärker die Arbeiterschaft und Personen mit niedrigen Einkommen anspricht. „Sie ist die Partei der kleinen Leute und muss daher ein konservativ-soziales Profil nach außen tragen“, meint Hirscher, der noch zwei andere interessante Fakten lieferte. Zum einen wählen nach Bayern Zugezogene verstärkt CSU, zum anderen hat diese bei der letzten Landtagswahl die meisten Stimmen an die Grünen verloren. Wie wäre es also mit einem Bündnis in schwarz-grüner Färbung? In Kommunen, Ländern, Bund? „Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann“, meint Prof. Volker Kronenberg (Bonn). Schließlich seien die Grünen schon längst Scharnier zwischen den Lagern, die politisch-personelle Basis für eine Koalition mit der CDU auch auf Bundesebene sei gegeben. +++++ Alte und neue Bürgerlichkeit +++++

+++++ Lohnt sich der Sprung ins andere Lager? +++++ Schwarz-Grün, Rot-Schwarz, Rot-Gelb-Grün – es gibt so viele Möglichkeiten. Marc Debus (Universität Mannheim) erklärte, dass nicht das politische Lager über die Koalitionsfähigkeit auf Landesebene entscheidet, sondern die Wahlprogramme. Die hat er analysiert und herausgefunden: Der SPD schadet eine lagerübergreifende Koalition mit der CDU oder FDP nicht – sondern hohe Arbeitslosenzahlen. Der Union nutzt eine bürgerliche Koalition mit den Liberalen nur, wenn sie harmonisch verläuft. Regierungsbeteiligung im Bund schadet immer. SPD-Anhänger in Westdeutschland mögen übrigens die Linken nicht. CDU-Wähler finden die Grünen immer sympathischer, Grünen-Anhänger aber mögen die CSU nicht. Und FDP-Nahe distanzieren sich immer mehr von der SPD. Eine Ampelkoalition möchte also keiner. Was aber, wenn der Parteibasis der Sprung über die Lagergrenzen nicht gefällt? Niko Switek von der Universität Duisburg-Essen kann die Parteigranden beruhigen: Ist die Wahl erstmal vorbei, kommen in den Koalitionsverhandlungen nur noch sie zum Zug – und die Ratifizierung eines Koalitionsvertrages auf Parteitagen ist hierzulande noch nie gescheitert. Zu vernachlässigen ist die Meinung der Basis deswegen nicht: gerade bei Richtungswechseln hin zu neuen Konstellationen wirkt sie eindeutig als „Wachhund“. +++++ Lohnt sich der Sprung ins andere Lager? Ja. Und nein. +++++

+++++ Warum Koalitionen scheitern +++++ Der Erlanger Politikprofessor Roland Sturm behandelte in seinem Vortrag die Gründe für ein vorzeitiges Scheitern von Koalitionen auf Landesebene. Das können Skandale sein (Spielbanken-Affäre in Bayern 1953, Spendenskandal in Berlin 2001, die Erpressungsversuche der Schill-Partei in Hamburg 2003), parteiinterne Querelen (jüngst die FDP im Saarland), politische Grundsatzkonflikte oder der Verlust wichtiger Integrationsfiguren (Ernst Reuter starb 1953 in Berlin). Bis 1990 gab es 16 vorzeitige Aufkündigungen von Koalitionen, nach der Wende bisher 8. „Meistens ist das Ende der Kommunikationsfähigkeit der Grund, oder persönliche Empfindsamkeiten“, erklärte Roland Sturm. Der Verlust politischer Gemeinsamkeiten falle weniger ins Gewicht. Noch seltener seien taktische Erwägungen wie Stimmengewinne bei möglichen Neuwahlen. Die Politiker scheinen ihren Wählern also durchaus zuzutrauen, sich im Spinnennetz der Politik zurechtzufinden. +++++ Darum scheitern Koalitionen +++++

+++++ Weitere Themen der Tagung +++++ Dr. Patrick Horst (Passau): „Die deutsche Koalitionsdemokratie – eine empirische Analyse“. Volker Best (Bonn): „Wie weiter nach dem Ende der Wunschkoalitionen? Institutionelle Konsequenzen.“ Prof. Hans Vorländer (Dresden): „FDP – personelles Revirement ohne koalitionspolitische Implikationen oder Öffnung für Ampel?“ Dr. Evelyn Bytzek (Frankfurt): „Große Koalitionen, wer profitiert?“ Prof. Uwe Jun (Trier): „Sind Länderkoalitionen präjudizierend für den Bund?“ +++++ Ende +++++

Wir veranstalteten die Tagung „Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013“ in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung und mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung vom 13. bis 15. Januar 2012.


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