Energiewende: Akzeptanz und Widerstand

Neue Protestkultur und alternative Konzepte

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 09.12.2012

Von: Sebastian Haas

# Gesellschaftlicher Wandel, Ökologie und Nachhaltigkeit

Download: Zwischen Akzeptanz und Widerstand - Energiewende und neue Protestkultur

Rudel-Seiler-Schwarzmeier-Tutzing

Prof. Dr. Wolfgang Seiler zwischen den Tagungsleitern Dr. Gerd Rudel (Petra-Kelly-Stiftung) und Dr. Manfred Schwarzmeier (APB Tutzing).

Mit der Energiewende hat sich die Bundesrepublik Deutschland ein epochales Projekt vorgenommen, für das es eine breite Zustimmung in Politik und Bevölkerung gibt. Doch die Zeit drängt. In fünf Jahren müssen die Weichen gestellt sein, damit das Zwei-Grad-Klimaziel der Vereinten Nationen noch gelingen kann. Unsere Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung gab einen Überblick über die aktuelle Entwicklung.

Es ist so vielfältig: wir und unsere Geräte sollen Strom sparen, wir brauchen mehr erneuerbare Energie, jeder soll sich beteiligen. Professor Manfred Fischedick (der Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie) beschrieb daher zu Beginn unserer Tagung die verschiedenen Aspekte der Energiewende:

  • Klima- und Umweltschutz
  • Versorgungssicherheit
  • Energieeffizienz
  • Wettbewerbsfähigkeit
  • Verbraucherschutz
  • Sozialverträglichkeit
  • Infrastruktur

Diese Liste macht deutlich: die Energiewende realisiert sich nicht von alleine. Und sie birgt Konfliktpotenzial. Denn nicht alle Herausforderungen lassen sich auf gleichem Weg lösen, und sie müssen lokal, regional, national, europäisch, international, vielleicht sogar global gedacht werden.

Wenn es an die Realisierung geht, regt sich schnell Protest. Windräder und neue Stromtrassen werden abgelehnt, weil sie das Landschaftsbild stören. Felix Butzlaff stellte daher die neue Protestkultur auf den Prüfstand. Er hat für das Göttinger Institut für Demokratieforschung Protestierende befragt und ein diskussionswürdiges Profil der „Mut- und Wutbürger“ vorgetragen. Die sind:

1.) gebildet und haben meist einen hohen Berufsabschluss (was im Zuge des Engagements die Lücke zu den „Abgehängten“ noch weiter vergrößern kann); 2.) geprägt durch ein Erlebnis, das ihnen gezeigt hat: Ich kann etwas bewirken; 3.) dominiert von älteren Männern (vor allem, wenn es gegen Europa geht); 4.) wenn es um die Energiewende und Infrastruktur geht meist in technischen Berufen aktiv – weil gerade die in ihrem Leben(sumfeld) nach stringenten Lösungen für ein Problem suchen? 5.) gewillt eine Gegenmacht zu Parteien, Medien und Lobbyisten aufzubauen und die wirklichen Experten zu hören; 6.) trotz ihrer Nähe zur Direktdemokratie nicht unbedingt tolerant gegenüber Widerspruch.

Welche Strategien, welche Probleme, welche Aspekte der Energiewende gilt es besonders zu beachten? Mehrere Panels unserer Tagung haben sich mit diesen Fragen beschäftigt und wir fassen sie in der Folge kurz zusammen.

Wie erhöht man die Akzeptanz?

Für die Forschungsgruppe Umweltpsychologie hat Irina Rau viele Projekte erforscht und bestätigt: mit zunehmender Dauer eines Vorhabens nimmt die wahrgenommene Betroffenheit der Bürger zu, die Chancen für Beteiligung aber ab. Zu mehr Akzeptanz führen daher ein gemeinsamer Gestaltungsprozess und mehr informelle Beteiligung. Eine zentrale Rolle spielt ebenso das Gerechtigkeitsempfinden, daher empfiehlt Rau:

  • ehrlich miteinander umgehen
  • die Vorteile für die betroffene Region ausarbeiten
  • die Wichtigkeit der Bürgerbeteiligung nach außen sichtbar machen.

All das ist oft nicht mit der Praxis vereinbar. Bürgern, Planern, Berufspolitikern wie den ehrenamtlichen Bürgermeistern kleiner Gemeinden fehlen Zeit, Geld und Wissen. Deshalb gibt es für die Gestaltung von Beteiligungsprozessen mittlerweile eine Vielzahl professioneller Dienstleister. Hannah Büttner zum Beispiel führt für das Institut IFOK den (einem Projekt vorangestellten) Bürgerdialog „Energietechnologie für die Zukunft“ durch – der mehrt nachweislich Interesse, Wissen und Engagement am und für das Thema.

Energiesparen, Energieeffizienz, Wertschöpfung

Ein Beispiel dafür, wie man die Energiewende anpacken kann, zeigte Wolfgang Seiler, früher Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung und heute Vorstandsvorsitzender der Energiewende Oberland. Dass solche Projekte wichtig für die regionale Wirtschaft sind – nicht umsonst gründeten sich in den vergangenen Jahren viele neue Stadtwerke und Genossenschaften – zeigte Katharina Heinbach vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin. So erwirtschafteten die dezentralen erneuerbaren Energien 2011 in Deutschland insgesamt 15,3 Milliarden Euro, gut 10 Milliarden davon auf kommunaler Ebene. Mit zunehmender Betriebsdauer fließt mehr Geld an die Betreiber, somit ein sicheres Gehalt an die Angestellten und mehr Steuereinnahmen ins Gemeindesäckel. Der Förderung von Windkraft, Bioenergie oder Photovoltaik kann sich für die Kommunen also lohnen.

Worum es bei der Energiewende aber auch gehen muss: Energiesparen. Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) erinnerte an diesen vernachlässigten Aspekt, der schnell zu einem sozialen Problem werden kann, wenn die Strompreise weiter exorbitant steigen. Aber spricht nicht so viel gegen das Energiesparen? Gebäudesanierung – schadet dem Specht und bringt Schimmel. Energiesparlampen – machen komisches Licht. Sparsame Autos – können nicht gleichzeitig hochtechnisiert sein. Laptop, Smartphone, iPad und mp3-Player abschalten – wie uncool.

Energiewende zentral oder dezentral?

Zum Abschluss unserer Tagung trafen sich Vertreter zweier Stromanbieter auf dem Podium, die unterschiedlicher kaum sein können: Eva Stegen ist eine der „Schönauer Stromrebellen“, die sich für eine regenerative, dezentrale Versorgung einsetzen; die mit Stromsparwettbewerben, Stromsparbroschüren und Stromsparberatung zum Mitmachen anregen; die Solar-Gemeinschaftsanlagen installieren, Wasserkraftwerke reaktivieren, Bürgerkraftwerke fördern; die mit einem Bürgerentscheid das städtische Stromnetz übernahmen; und die mittlerweile 135.000 Strom- und 10.000 Gaskunden versorgen.

Ganz anders e.on – möchte man meinen. Doch Projektmanager Politische Strategie Andreas Kießling überraschte mit der Aussage, dass der Stromriese ein Drittel seiner Energie bereits dezentral umsetzt. Zentrale Lösungen bilden jedoch weiter den Kern des Geschäfts. Denn:

  • große Gas-und-Dampfkraftwerke produzieren den benötigten Strom auch bei Regen und bei Nacht
  • um zwei solcher Kraftwerke zu ersetzen benötigt man 25.000 Biogasanlagen
  • wenn 2030 noch 40 Prozent der Energie konventionell hergestellt werden sollen, sind selbst dafür Großkraftwerke nötig
  • wenn plötzlich viele zu Selbstversorgern würden, steigen die Kosten für die Verbliebenen in den großen Stromnetzen.

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